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Alt 28.07.2014, 19:03   #1
Alive93
 
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Standard Nichts Besonderes

„Du solltest ein Buch schreiben“, sagte sie zu ihm, nachdem er ihr einen Bericht über seinen job geschickt hatte. Auf diese Idee war er noch nie gekommen. Er schrieb zwar gerne ab und an etwas, so über kleine Merkwürdigkeiten und Abartigkeiten seines eigenen Alltags, aber nie und nimmer wäre er auf die Idee gekommen, aus dieser seinen Laune etwas größeres zu schaffen. Außerdem fand er, dass die Regale im Buchladen voll genug waren mit Schund, da brauchte es nicht noch einen wie ihn, der noch mehr davon in die Öffentlichkeit trug. „Nein, nein, das ist nichts für mich“, erwiderte er seiner Freundin. Trotzdem ließ ihn der Gedanke nicht mehr los.

Eine Woche später setzte er sich an seinen Schreibtisch und stütze den Kopf in seine Hände und wartete auf eine Eingebung. „Was habe ich denn schon zu sagen?“, fragte er in sich hinein. „Nun ja, vielleicht sollte ich einen Reisebericht schreiben über meinen Urlaub in den USA“, dachte er weiter, „das war eines meiner aufregendsten Erlebnisse der letzten fünf Jahre gewesen und würde bestimmt einiges her machen“. Der Urlaub lag nun schon fünf Jahre zurück. Er erinnerte sich an ein kleines Notizbuch, welches er damals mit Stichpunkten im Laufe der Reise gefüllt hatte. Verstaubt fand er es im Regal liegen. Die Stichpunkte überraschten ihn. Als hätte sie jemand anders geschrieben. Vielleicht lässt sich ja aus den Stichpunkten etwas größeres machen, überlegte er wieder. Warum nicht? Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und versuchte sich an einem Einstieg, aber er fand keinen passenden. Erst handelte die erste Zeile vom Kofferpacken, dann von der Ankunft am Flughafen und wieder eine andere vom Buchen des Urlaubs im Reisebüro. Er konnte sich für keine entscheiden und löschte nacheinander alle Einfälle, die er gehabt hatte wieder. Vielleicht war ja doch eine gute dabei und ich bin nur nicht mutig genug, sie zu nehmen, dachte er sich. Außerdem hatte er keine Ahnung, was überhaupt eine gute erste Zeile ausmachte. Gelesen hatte er andere Bücher bis jetzt immer nur mit einem Auge und das analysieren von Texten hatte ihn noch nie begeistern können. Früher in der Schule hatte er von den Büchern, die gelesen werden sollten, immer nur den Klappentext gelesen und sich später Zusammenfassungen aus dem Internet gezogen. Wie kam seine Freundin eigentlich darauf, er solle ein Buch schreiben. Der Vormittag neigte sich dem Mittag zu und er gab es auf. Noch nicht einmal ein kleiner Abschnitt wollte ihm einfallen. Er gehörte wohl doch eher zu Musik. Dafür hatte er sich schon immer mehr begeistern können.

Und so ging er in den Keller und spielte auf seiner Gitarre. Die Nachbarn hatten ihn schon öfters im Keller spielen und auch singen gehört und ihn daraufhin darauf angesprochen. Erst einmal auf die Lautstärke und ob man beim nächsten Mal nicht ein bisschen spielen könne und dann darauf, dass es ihnen dennoch gefallen hätte, was sie da gehört hatten. Sie planten im Übrigen eine kleine Feier in der kommenden Zeit. Ob er nicht Lust hätte, an dieser Feier teilzunehmen und einen kleinen musikalischen Beitrag zu leisten. Wenn er so gut wäre wie im Keller, dann würde das sicherlich gut ankommen. Er zögerte eine ganze Weile und sagte schließlich doch zu.

Zwei Wochen später war dann die Feier der Nachbarn. Das Buffet war sehr vielseitig und einfallsreich gestaltet. „Sehen Sie, das ist meine Kunst. Ich habe schon immer gerne gekocht und habe mir fast alle Rezepte selbst beigebracht. Und sie haben ihre Musik. So hat eben jeder etwas, in dem er besonders gut ist!“, erzählte die Nachbarin mit ihm, als sie die Salatschüsseln hinstellte. Die Gäste kamen und gesellten sich um den Tisch. Er begrüßte sie und kümmerte sich danach um seine Lautsprecheranlage. Er stand an seinem kleinen mickrigen Amateurmischpult und bemühte sich, die richtigen Höhen und Bässe zu finden. „Ach Mist, warum klappt denn das alles wieder nicht hier!“, fluchte er leise. „Diese Technik!“. In Wirklichkeit lag es an seiner Aufgeregtheit, dass er jetzt im entscheidenden Moment nicht die passende Einstellung finden konnte. Die Gäste saßen inzwischen auf ihren Stühlen und plauderten und warteten darauf, dass es endlich losging. Er gab es schließlich mit der Anlage auf und begann einfach so mit der jetzigen Einstellung. Das Programm, das er sich zusammengestellt hatte, bestand aus den gleichen Songs, die er sonst immer alleine im Keller gesungen hatte. Es konnte nichts schiefgehen. Oder? Doch, es konnte. Schon nach den ersten Takten merkte er, dass er vergessen hatte die Gitarre zu stimmen und brach den Song ab. Verärgert und noch nervöser als vorher kramte er sein Stimmgerät aus der Tasche hervor und stimmte die Gitarre mit zitternder Hand. Die Gäste hatten ihre Aufmerksamkeit wieder abgewandt und im Gesicht der Nachbarin konnte er eine leichte Enttäuschung feststellen. „Jetzt beruhige dich mal, ganz ruhig“, redete er sich selber zu. Aber es klappte nicht. Das ganze restliche Konzert spielte er wackelig und unsicher und machte Fehler an Stellen, die allein im Keller nie ein Problem waren. Beim Singen fehlte ihm vor Anspannung die Luft und überhaupt. Für die Öffentlichkeit zu spielen war er nicht gewohnt. Nach seinen musikalischen Bemühungen baute er alles wieder ab und wollte gehen. „Bleiben sie doch noch ein wenig, es ist doch noch so früh“, sagte die Nachbarin zu ihm. „Nein danke. Ich muss morgen wieder früh raus zur Arbeit.“, erwiderte er. „Na gut, aber dann nehmen sie sich wenigstens noch ein bisschen von meinem Nudelsalat mit. Er ist sehr gut geworden“, bot sie ihm an. Mit dem Nudelsalat verschwand er dann in sein Haus und setzte sich mit einer Schüssel davon an seinen Schreibtisch. Er las sich seine Versuche von vor einer Woche an, als er diesen Urlaubsbericht schreiben wollte. Kläglich, wie er fand. Warum konnte er sonst immer schreiben und singen, wenn es niemand lesen oder hören wollte? Seiner Freundin würde er auch nie wieder etwas von ihm zu lesen geben. Wie kam sie nur darauf? Von wegen ein Buch schreiben. Er war nichts besonderes, ein verwechselbarer austauschbarer Gelegenheitsschreiber. Er schrieb am besten, wenn es ihm dreckig ging und seine ganzen kleinen Aufzeichnungen aus seinem Leid und seiner Traurigkeit bestanden. Aber wer will denn sowas lesen, dachte er sich. Außerdem war es ihm immer ein bisschen peinlich, so autobiographisch zu werden. Und seiner Freundin würde er ab sofort auch nichts mehr geben. So! Schluss! Niedergeschlagen aß er ein bisschen was von dem Salat der Nachbarin. Er schmeckte wirklich gut.

Am nächsten Morgen begab er sich wie immer auf den Weg zur Arbeit. Auf dem Weg dorthin ging er in einen Buchladen um sich ein wenig Lektüre für die nächste Zeit zu besorgen. Er wollte wieder mit dem Lesen anfangen um vielleicht doch noch doch noch dahinter zu kommen, wie man gut schreibt. Er hatte ein paar Namen von Autoren in seinem Gedächtnis abgespeichert, nach denen er schauen könnte. So ging er am Regal entlang und fand auch etwas. Er setzte sich kurz auf einen der Sessel im Laden und las das Buch kurz an. Es interessierte ihn nicht. Auch das nächste, welches ihn ansprang, war so holprig und langatmig und vor allem gefühllos geschrieben, dass er es wieder zurückstelle, obwohl ihn das Thema interessierte. Schließlich fand er ein unscheinbares Buch von einem Autor, dessen Namen er noch nie gehört hatte. Musste wohl ziemlich unbekannt sein. Er setzte sich erneut hin und las eine Weile darin und war ergriffen. Wie offen und gefühlvoll der Autor hier schrieb fand er sehr ergreifend. Es war ein Tagebuch von einem, der scheinbar immer versucht hatte, etwas Besonderes zu sein, aber nach seiner eigenen Ansicht dazu nicht geboren war. Warum hatte man von diesem Autor noch nie etwas gehört? Er kaufte das Buch und fuhr weiter zu seiner Arbeit.
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