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Alt 05.07.2012, 21:26   #1
männlich Pattie
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Beiträge: 264


Standard Die Katzen vom Inle-See

Die Katzen vom Inle-See


Ein Fischer am Inle-See lebte einsam in seiner Hütte. Jeden Morgen nahm er seine Reusen und ruderte nach Art der einheimischen Fischer, das Bein fest ums Ruder geschlungen auf den See hinaus und kehrte am Abend zurück in seine Hütte. Da er arm war, hatte sich immer noch keine Frau gefunden, die mit leben wollte.

Am anderen Ufer wohnte eine Alte, die von den schwimmenden Gärten lebte. Die kochte oft Reis und Gemüse für die Fischer. Sie hatte ein kleines braunes Kätzchen mit goldenen Augen. Das Kätzchen gefiel dem Fischer. Immer wenn er dort zu Besuch kam, schenkte er ihm einen Fisch. Darum fragte er die Alte eines Tages zum Spaß:

„Du weißt, ich suche schon so lange nach einer Frau, kannst Du mir nicht Deine Katze geben. Ich will sie mit nach Hause nehmen und mit ihr Hochzeit feiern.“

„Das kann ich nicht, sie ist ein Geschenk der Mönche vom Nga Phe Chaung Kloster.“

Als der Fischer von der Alten herunter zu seinem Boot kam, saß darin schon ein braunes Mädchen mit goldenen Augen. Er fragte sie nichts, sprach kein Wort, denn er glaubte in ihr das Kätzchen zu erkennen und fürchtete die Warnung der Alten. In diesen Zeiten waren Märchen noch selbstverständlich.

Das Mädchen war schön und ebenmäßig geformt, geschmeidig in seinen Bewegungen. Die Nachbarn waren erstaunt und wunderten sich über die unbekannte neue Dorfbewohnerin, als sie freundlich sich verneigend, die Hände artig gefaltet in der Hütte verschwand.

Die alten Weiber besuchten sie neugierig und sie bediente sie mit Tee und getrocknetem Fisch, Gemüse mit Reis und Früchten. Sie sprach nicht viel, aber war immer freundlich. Selbst begnügte sie sich am Abend mit einem Fisch und legte sich nach Art der Katzen neben der Tür auf eine Matte. Anfangs versuchte der Fischer sie zu berühren, aber sie entzog sich ihm und blickte ihn rätselhaft mit ihren goldenen Augen an, dass es ihn schauerte und er zu seinen Reusen ging und die Netze zu reparieren begann.

Immer, wenn er vom See wieder in die heimischen Kanäle zurück kehrte und den Steg zu seinem Haus hinauf ging, wartete sie mit dem Abendessen vor der Hütte. Die Alte hatte der Fischer seitdem nicht mehr besucht, sei es aus Schuldbewusstsein, aber auch, weil das Mädchen die Speisen sehr schmackhaft zuzubereiten wusste.

Ab und zu fand der Fischer ein Katzenfell, das neben der Wäsche über den Stangen zum Trocknen aufgehängt war und er fragte sie danach und sie antwortete ihm: „Ich habe das Fell vom Nga Phe Chaung Kloster.“

Eines Tages fand er in einem Körbchen in seinem Haus sieben kleine braune Siamkätzchen mit goldenen Augen und er fragte erstaunt:„ Woher kommen diese Kätzchen?“
Sie sah ihn arglos am: „Die Mönche des Klosters haben sie uns zum Geschenk gebracht.“

Der Fischer nahm die Antwort hin, aber er wünschte sich Frau und Kinder, nicht nur ein Mädchen, das für ihn kochte und Katzen versorgte, wenn es auch schön war und er um sie von den anderen beneidet wurde. Darum, als er von einem Tag auf dem See nach Hause kam, an dem er keinen Fisch gefangen hatte und wieder ein Katzenfell fand, das zum Trocknen aufgehängt war, stieg ein Verdacht in ihm auf, sie könnte ihn hintergangen haben. Und er nahm das Fell und warf es ins Feuer.

Dann stürmte er ins Zimmer und stellte sie zornig zur Rede: „Ich weiß, dass Du in Wahrheit eine Katze bist, aber trotzdem wohnst du bei mir, obwohl ich Dich nie berühren durfte. Was aber tust Du hinter meinem Rücken, wenn ich zum Fischen fahre? Woher kommen diese Felle?“

Sie antwortete und ihre goldenen Augen blitzten: „Das Fell, das Du gerade verbrannt hast, war mein eigenes Fell. Jetzt muss ich für immer als Mensch hier leben, darf nie mehr eine Katze sein. Meine Mutter wird mich verfluchen.“

„Dann wirst Du wohl endlich meine Frau werden können und wir werden Kinder haben.“

„Ja, so könnte es sein. Und wenn wir einmal tot sind, wirst Du sieben Kinder haben, alle mit goldenen Augen, wie Du es Dir immer gewünscht hast.“ Und die sieben Katzen schnurrten um seine Beine. Er streichelte sie zufrieden. Noch in dieser Woche würde er mit dem Katzenmädchen zum Kloster rudern und heiraten.

Man fand sein Boot am nächsten Morgen im Schilf. Das Mädchen und der Fischer aber waren verschwunden. Wahrscheinlich, so vermuteten die Nachbarn hatten sie sich auf dem Weg zum Kloster gemacht und das schmale Boot war umgekippt.

Die Alte am anderen Ufer hatte sieben neue Katzen bekommen, alle mit goldenen Augen, Siamkatzen.

Wenn ihr einmal nach Burma fahrt und kommt zum Inle-See, schaut in die Augen der Menschen dort.
Pattie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2012, 21:30   #2
männlich Ex-Ralfchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302


einer deiner wunderbaren texte, schnuckel. wie hammir die gefehlt!
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2012, 23:57   #3
männlich Brutha
 
Dabei seit: 06/2012
Ort: Wien
Alter: 37
Beiträge: 99


Servus Omar,

eine wunderbare Geschichte, wirklich gut. Mir gefällt sie!
Ich hab ein kleines déja vu: ähnliche Geschichte, aber weiß nicht mehr woher ich das kenne.
Falls mir einfällt, woran mich das erinnert, meld ich mich nochmal =)

mfg.

Brutha
Brutha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 06:50   #4
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


SO sollten alle Märchen sein.
Das ist nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes fabelhaft, das ist Schönheit der Sprache.
Jeder Satz ein Hochgenuß!
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 07:24   #5
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.043


Eine ungewöhnliche Geschichte - und angenehm zu lesen. Du hast einen guten Stil.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 12:43   #6
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Ja. Ungewöhnlich. Rätselhaft.
Und daß das Rätsel nicht gelöst wird, macht sie umso besser.
Ich bin immer noch gebannt.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 13:39   #7
männlich Brutha
 
Dabei seit: 06/2012
Ort: Wien
Alter: 37
Beiträge: 99


Servus,

endlich! Die halbe Nacht habe ich gesucht und bin wirklich fündig geworden, woher mir diese Geschichte so bekannt vorkam.
Es handelt sich um eine Legende, die in der Gegend sehr geläufig ist.
Leider weiß ich selber nicht mehr, wo ich diese Legende damals aufgeschnappt habe, aber es ist schon einige Zeit her.

Die Legende besagt, dass die Mönche des Nga Phe Chaung Klosters nach ihren tot, als eine Brumakatze wiedergeboren werden, mit weißen Fell und gelb-goldenen Augen um ein weiteres Leben hier auf Erden zu verbringen.

lg. und danke für diese Geschichte und die auffrischung meines Gedächnisses

Brutha
Brutha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 21:41   #8
männlich Pattie
gesperrt
 
Dabei seit: 07/2012
Beiträge: 264


Ich wollte mich ganz herzlich für euer Wohlwollen bedanken. Ich habe eine Reihe solcher Märchen geschrieben und illustriert, habe aber gemerkt, dass in Foren kürzere Texte bevorzugt werden.
Pattie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 21:43   #9
männlich Pattie
gesperrt
 
Dabei seit: 07/2012
Beiträge: 264


Zitat:
Zitat von Brutha Beitrag anzeigen
Servus,

Die Legende besagt, dass die Mönche des Nga Phe Chaung Klosters nach ihren tot, als eine Brumakatze wiedergeboren werden, mit weißen Fell und gelb-goldenen Augen um ein weiteres Leben hier auf Erden zu verbringen.

lg. und danke für diese Geschichte und die auffrischung meines Gedächnisses

Brutha
Kann sein, ich hab das über die Mönche irgendwo gelesen. Ich danke Dir sehr für den Hinweis. Eine Legende liegt bei der Athmosphäre dort auf der Hand. Ich hab von der Gegend dort noch ein paar Märchen ...
Pattie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2012, 21:59   #10
männlich nimmilonely
 
Dabei seit: 12/2010
Ort: Mainz
Alter: 35
Beiträge: 853


Ein Wunderbares Märchen, das mir sehr forentauglich scheint, da es knapp und doch ausführlich genug ist.

Ich bin verzaubert, und konnte die goldenen Augen förmlich vor mir sehen.
nimmilonely ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.11.2019, 01:59   #11
männlich Ex-Ralfchen
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 77
Beiträge: 17.302


ja einfach in der obersten region und ein text an dem lern- und wissbegierige menschen hier lernen können...
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
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