Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 13.12.2005, 01:26   #1
akechi90
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 35


Standard Schlechtes Betriebsklima

Erst noch eine Warnung: Die Gewaltdarstellungen in diesem Krimi sind ziemlich intensiv. Wer also empfindlich ist, sollte das nicht lesen.
Es sind 8 - 10 Kapitel geplant.

Teil 1: Treffen auf Hokkaido

Es war tiefster Winter. Kogoro und ich waren wieder einmal nach Hokkaido eingeladen worden, diesmal auf Kosten der Polizei. Es ging um eine “zutiefst mysteriöse Sache”, wie Kogoro mir sagte. Jemand hatte ihm angerufen und ihn mit dieser Sache beauftragt. Angeblich war auch noch die Rede von einem Betrieb namens Arimoto Systems , in dem in Verbrechen geschehen war, aber mehr schien auch Kogoro nicht erfahren zu haben.
So saßen wir diesmal im Shinkansen nach Hokkaido, nicht im Hokutosei-Express, wie bei unserem letzten Besuch auf Hokkaido. Der Shinkansen-Schnellzug ist berühmt dafür, dass man in nur zwei bis drei Stunden auf Hokkaido ankommt, was für viele Geschäftsleute bestimmt von großer Bedeutung war.
Im Shinkansen strich die Landschaft nicht mehr langsam an uns vorbei, sie raste förmlich vorüber. Ich erinnerte mich an unsere letzten Sommerferien, als wir es mit einem Dreifachmörder zu tun bekamen. Was wohl nach seiner Überführung passiert war? Hätte Hauptkommissarin Yabuchi damals nicht vorgesorgt, wären wir jetzt wohl kaum mehr zu einem weiteren Hokkaido-Trip in der Lage gewesen.
Ich überlegte. War nun also schon wieder ein Verbrechen geschehen, bei dem man Kogoros Ratschlag brauchte? Etwa unser zweiter Fall auf Hokkaido? Die Polizei schien Kogoro ziemlich oft zu benötigen. Vielleicht lag es ja auch nur daran, dass Kogoro in Polizeikreisen eine Berühmtheit war.
Aus der Ferne konnte ich das Minshuku Kitagawa erkennen, die Familienpension, in der wir letztes Mal den Fall gewissermaßen mit einem Showdown ausklingen ließen. Das Gebäude war vollständig verschneit. Doch bevor ich genauere Details des Hauses erkennen konnte, war es schon wieder weg. Der Shinkansen war eben in seiner Geschwindigkeit nicht zu übertreffen…
Neben mir saß Kogoro nach hinten gelehnt auf seinem Sitz. Offensichtlich hatte er in der Nacht zuvor nicht richtig geschlafen und holte dies im Zug nach. Eigentlich hatte er sich diese Unart erst vor ein paar Jahren angewöhnt, in der Nacht vor einem Fall kaum zu schlafen und auf dem Weg zum Tatort beziehungsweise der Fallbesprechung seinen Schlaf nachzuholen.
Doch nun schien Kogoro sein Schlafdefizit ausgeglichen zu haben, da er kurz nach der Vorüberfahrt am Minshuku Kitagawa seine Augen öffnete und fragte: “Wie viele Stationen sind es noch bis zur Endstation auf Hokkaido? Sind wir überhaupt schon auf Hokkaido?”
“Ja, wir sind schon auf Hokkaido. Wir sind sogar schon an der Pension von damals vorbeigefahren. Und was die Stationen angeht…”, ich zog einen Fahrplan aus meiner Hosentasche, faltete diesen auseinander und versuchte innerhalb eines tabellarischen Chaos die Stationen zu erkennen, “…es sind noch vier Stationen, bis wir am Ziel sind. Es müsste also noch ungefähr 38 Minuten dauern.”
Der halb zugefrorene See streifte langsam an uns vorbei. In mir kamen wieder die Erinnerungen an den Dreifachmord hoch, der sich damals dort ereignete. Wie die Leiche dieses Industriellen aus dem See gezogen wurde oder die tote Fotografin aus einem Busch vor unsere Füße stürzte… Es war nach dem Fall auf der sonnigen Halbinsel Izu der grausamste Fall, den wir je zu lösen hatten.
Doch der Fall, mit dem nach der Einfahrt in der Endstation konfrontiert wurden, übertraf die Grausamkeit der damaligen Fälle um Dimensionen…

Der Zug fuhr schließlich in der Endstation auf Hokkaido ein. Wir stiegen aus und suchten auf dem verschneiten Bahnhofsgelände Hauptkommissarin Yabuchi, die uns auch schon beim letzten Mal zur Seite gestanden war.
Nachdem wir von einigen Geschäftsleuten, die aus anderen Zügen ausstiegen, angerempelt wurden, erkannten wir schließlich aus weiter Ferne eine Gestalt mit langen schwarzen Haaren, die in einen dicken schwarzen Pelzmantel eingepackt war. Das musste Frau Yabuchi sein!
Als wir uns der Person auf ein paar Meter näherten, bestätigte sich unsere Vermutung: diese Frau war Frau Yabuchi!
Als sie sich zu uns zu uns umdrehte, wurden wir von ihr mit freundlicher Stimme begrüßt: “Ah, guten Tag, Herr Akechi und Herr Hatano. Freut mich, Sie mal wieder zu sehen.”
“Die Freude ist ganz auf unserer Seite.” Kogoro lächelte. Ich nickte.
Frau Yabuchi ging mit behutsamen Schritten auf uns zu, woraufhin Kogoro bemerkte: “Es ist gestreut, Sie können ruhig normal gehen.
“Es ist nicht das.”, entgegnete ihm Frau Yabuchi, die ihren auf dem Boden schleifenden, ebenfalls schwarzen Roch anhob. Zum Vorschein kamen hochhackige Schuhe, die Frau Yabuchi ein wenig das Aussehen einer der vielen japanischen Gothic Lolitas verliehen, die durch einen etwas eigenwilligen, leicht düster angehauchten Modestil zu erkennen sind, den ich jetzt nicht genauer erklären kann.
Kogoro sagte nach einem kurzem Schrecken: “Das sieht ja vollkommen geschmacklos aus. Wie kommen Sie dazu, so etwas zu tragen?”
Ich war eigentlich nicht dieser Ansicht, da ich diesen Stil als ausgesprochen attraktiv empfinde. Aber ich konnte gegen Kogoros konservative Art nun mal nichts machen, war er doch quasi mein Lehrer, mein senpai .
Um Frau Yabuchis aufsteigende Wut zu bremsen, warf ich ein: “Also mir gefällt das, was Sie da tragen. Es ist… wie soll ich sagen… es ist sehr unkonventionell.”
“Wie Sie meinen.”, grummelte Frau Yabuchi, “Also, wir müssen ins Polizeipräsidium. Das ist gleich um die Ecke, da kommen wir auch zu Fuß hin. Dort werde ich Sie über den Fall aufklären, bei dessen Lösung Sie uns helfen müssen.”
So liefen wir ein paar hundert Meter durch die Schneemassen Hokkaidos, wobei ich bereuen musste, dass ich keinen wärmeren Mantel eingepackt hatte. Aber es war eindeutig schlimmer, einen ganz offensichtlich intoleranten Vorgesetzten zu haben, auch wenn dieser sich selbst lediglich als “konservativ” bezeichnete.
Auf dem Weg fragte Kogoro Frau Yabuchi interessiert: “Was ist eigentlich aus diesem Dreifachmörder geworden? Hat der jetzt seine Strafe bekommen?”
“Ja, das hat er! Er weilt nämlich nicht mehr unter uns. Er ist an einen besonders strengen Richter heran geraten. Der hat ihn zum Tode verurteilt; unser japanisches Recht ist eben nicht zu unterschätzen, nicht wahr?”
Kogoro stimmte zu: “Ganz eindeutig! Er hat drei Menschen umgebracht, und das aus purer Gier. Er war weder krank noch hatte er eine psychische Störung, die die Morde hätte rechtfertigen können. Er hat nur des Geldes wegen gemordet. Und natürlich, um zwei Verbrechen zu verschleiern.”, fügte Kogoro hinzu.
Frau Yabuchi stolperte auf einmal und schlug mit einem schmerzvollen Schrei mit den Knien auf dem harten Boden auf.
Kogoro half ihr auf, aber nicht ohne folgende Worte hinzuzufügen: “Das kommt alles nur davon, dass Sie solche Schuhe angezogen haben.”
“Sie sind nicht mein Lehrer, Herr Akechi und haben mir somit nicht vorzuschreiben, welche Schuhe ich tragen soll.”, beklagte sich Frau Yabuchi.
“Ist schon gut. Ich mach keinen Kommentar mehr.” Kogoro zog sich aus dem Streit, den er scheinbar selbst provoziert hatte, zurück.

Schließlich saßen wir mit Frau Yabuchi im Büro des Polizeipräsidiums, wo wir über den Fall aufgeklärt wurden, den wir zu lösen hatten:
Frau Yabuchi setzte eine Tasse, randvoll mit grünem Tee, an die Lippen an und trank langsam.
Kogoro fragte leicht ungeduldig: “Also, weshalb haben Sie uns denn nun herbestellt?”
“Es geht um eine Finanzzentrale des Betriebs Arimoto Systems . Es ist dort etwas vorgefallen, was Sie für uns untersuchen sollten. So wie sich die Dinge zurzeit darstellen, ist schwer davon auszugehen, dass…”
Kogoro unterbrach: “ Arimoto Systems ? Die stellen doch Laptops her, genau? Ich hab mir von denen auch einen Laptop zugelegt und bin ziemlich zufrieden mit dem Produkt.”
“Wir haben unser Polizeipräsidium nur mit Laptops von Arimoto Systems ausgestattet. Es kommt davon, dass wir einen speziellen Vertrag mit dem Hersteller ausgehandelt haben. Deshalb haben wir ja auch so ein großes Interesse daran, dass Sie dieses Verbrechen…”
“Könnte ich mal ein Exemplar sehen?”, unterbrach Kogoro, ”Ich habe gehört, dass die ein neues Laptop-Modell auf den Markt gebracht haben und möchte mir auch eines kaufen, nur weiß ich nicht, ob es besser ist als das alte.”
Frau Yabuchi deutete auf einen flachen silbernen Quader, der am Rand des Bürotisches lag und bemerkte: “Es ist eindeutig besser! Das Gewicht wurde auf nur noch vierhundert Gramm reduziert, während der Akku den Laptop nun achtundvierzig Stunden am Stück mit Strom versorgt.” Die Hauptkommissarin hüstelte kurz. “Aber um zum Thema zurückzukommen: Im Finanzbetrieb von Arimoto Systems ist am letzten Dienstag, also am 14. Januar, ein Verbrechen großen Ausmaßes geschehen. Es geht um diesen Mann hier.” Ein Foto mit dem lächelnden Gesicht eines Herrn mit ordentlich gepflegtem schwarzen Seitenscheitel und einer übergroßen Brille wurde uns zugeschoben.
Kogoro nahm das Foto in die Hand, um es zu beurteilen: “Sieht für mich aus wie der typische Geschäftsmann von nebenan. Was soll mit dem los sein? Wurde er etwa ermordet?”
Die Hauptkommissarin schüttelte bedrückt den Kopf: “Nein. Ich werde Ihnen nun sagen, was sich zugetragen hat: Am 15. Januar, an einem Mittwoch also, sollte eine Gruppe von Betriebsprüfern um exakt 11.00 Uhr in der Finanzzentrale von Arimoto Systems die Akten einsehen, um sich eine Übersicht über den Betrieb zu schaffen und ihn somit zu bewerten. Natürlich ist das bei unserer Seifenblasenwirtschaft von großer Bedeutung, möglichst viel Ansehen als Betrieb zu genießen; darum war der 15. Januar für die meisten Angestellten des Betriebs quasi überlebenswichtig. Als die Betriebsprüfer schließlich am 15. Januar das Gebäude der Finanzzentrale betraten, machten sie eine schreckliche Entdeckung: alle Wände des Gebäudes waren mit Blut besudelt, in jedem einzelnen Raum. Und überall lagen Leichen auf dem Boden; das gesamte Gebäude war mit Leichen übersät. Einschusslöcher waren überall zu erkennen, in den Aktenschränken, in den Wänden, und natürlich in den Leichen…” Frau Yabuchi machte mit stark beklemmter Miene eine Pause, als hätte sich das gesamte Szenario vor ihren Augen abgespielt.
Kogoro hingegen folgte gelassen, vielleicht sogar gespannt, den Ausführungen, die Hauptkommissarin Yabuchi von sich gab, während mir langsam übel wurde.
Frau Yabuchi nahm einen Schluck Tee zu sich und setzte fort: “Unter einem Schreibtisch fand man schließlich zusammengekauert einen der Angestellten, der sich vor irgendetwas zu fürchten schien. Er war vollkommen apathisch und kaum anzusprechen.”
“Das war doch bestimmt der Mann von dem Foto, habe ich Recht?”, fragte Kogoro interessiert.
“Nein, das war er nicht! Er heißt Yoshiyuki Soga und ist fest in dem Betrieb angestellt. Er nahm das Foto dieses Mannes und drückte es den schockierten Betriebsprüfern in die Hand. Er sagte dazu kein einziges Wort.”
“Dann ist der Mann auf dem Foto also Ihr Täter und Sie sind nun auf der Suche nach ihm?” Kogoro blickte Frau Yabuchi interessiert an, während er aber zugleich ein wenig enttäuscht darüber schien, dass der Täter schon bekannt war.
“Das ist nicht das Hauptproblem dieses Falles.”, erwiderte die Hauptkommissarin, die in der grellen Bürobeleuchtung immer mehr wie eine Gothic Lolita wirkte, “Herr Soga hat wortlos auf eines der Zimmer gedeutet. Es war aber von innen verriegelt. Keine Chance, da rein zu kommen. Den Betriebsprüfern war klar, dass sich der Täter - ganz offensichtlich war es der Mann auf dem Foto - dort verschanzt haben musste und sie riefen sowohl einen Krankenwagen als auch die Polizei. Sie entfernten sich aber keinesfalls vom Tatort. Als schließlich die Polizei eintraf, wurde die Türe des Zimmers aufgebrochen und man fand letztendlich dort den Täter…”
Kogoro setzte lächelnd fort: “Die Polizei hat den Täter dann abgeführt und eingesperrt, womit der Horrorfilm beendet war. Und jetzt haben Sie das Problem, dass Sie keine Beweise gegen ihn in der Hand haben, liege ich richtig?”
“Sie liegen leider völlig daneben.”, sagte Frau Yabuchi kopfschüttelnd, “Beweise haben wir zu Massen gegen ihn in der Hand: Auf den Aufnahmen der Überwachungskameras konnte man ganz klar erkennen, dass er alle sechzig Angestellten in der Finanzzentrale, mit Ausnahme von Herrn Soga, alleine und mithilfe eines Maschinengewehrs erschossen hatte. Die Tatzeit war den Aufnahmen zufolge von 8.00 Uhr bis 8.30 Uhr Dienstags. Herr Soga, der apathische Angestellte, lag also mehr als einen Tag zusammengekauert unter dem Schreibtisch, bevor auch die Öffentlichkeit von diesem Verbrechen erfuhr.”
Nun wirkte auch Kogoro auf mich ein wenig angewidert von der Erzählung, aber er stellte eine verblüffend rationale Frage: “Und was war nun mit… äh, was war nun mit dem Mörder?”
“Sein Name war Katsuya Arita.”, korrigierte Frau Yabuchi, “Man fand Herrn Arita schließlich in dem von innen verriegelten Zimmer auf. Er hatte das Maschinengewehr noch in der Hand.”
“Er will die Tat jetzt also nicht gestehen, meinen Sie?”
Frau Yabuchi schüttelte den Kopf: “Er hat die Tat gestanden. Genauer gesagt: Er hat sich die Tat eingestanden, indem er sich den Lauf des Maschinengewehrs in den Mund geschoben und abgedrückt hatte. Er war auch tot…”
“Aber da muss doch noch ein Motiv da gewesen sein!”, beklagte sich Kogoro, “Wer die gesamte Belegschaft der Finanzzentrale eines Betriebs umbringt, muss doch ein Motiv für das alles gehabt haben!”
“Das ist unser erstes Problem in diesem Fall gewesen. Aber es wird noch mysteriöser: Man verständigte sofort den Chef der Finanzabteilung, Herrn Iwao Tsumagari, der sowohl an diesem als auch am vorigen Tag eine Besprechung im Hauptgebäude des Betriebs in Osaka hatte. Dieser kam sofort her und wurde über die Tatumstände aufgeklärt, unter anderem auch, wie man die Leichen aufgefunden hatte. Herr Tsumagari war natürlich völlig außer sich und beklagte sich darüber, dass Herr Arita nie zu einem solchen Verbrechen in der Lage gewesen wäre.”
Kogoro setzte sich nun etwas gemütlicher auf seinen Stuhl und sagte mit einem nahezu sarkastischen Unterton: “Es sind meistens diejenigen, von denen man es am wenigstens erwartet. Damit habe ich die besten Erfahrungen meiner kriminologischen Ausbildung gemacht. Nun ja.”, Kogoro räusperte sich, “Jetzt mal im Ernst: Es ist erwiesen, dass die meisten Amokläufer jahrelang ihre Wut über Enttäuschungen in sich hineinfressen. Sie sind eine tickende Zeitbombe für unsere Gesellschaft. Und irgendwann reicht dann ein an sich bedeutungsloses Ereignis aus, um die Zeitbombe zur Explosion zu bringen. In diesem Fall wäre es dann nicht einmal ein Wunder, dass Herr Arita sich zu einer Gefahr für seine Mitarbeiter entwickelte, zu welcher er letztendlich ja auch wurde…”
Während Kogoros Erläuterungen nickte Frau Yabuchi, um ihm ihre Zustimmung zu zeigen, doch was sie nun sagte, sprengte die Klarheit von Kogoros Theorie ungemein: “Wäre es so, hätten wir diesen Fall ja auch schnell zu den Akten legen können, doch Herr Arita hatte weder Probleme mit seiner Familie, zumal er nur seine zwei Eltern hatte, noch hatte er Probleme in seinem Betrieb. Er konnte sich gut eingliedern und war äußerst beliebt bei seinen Mitarbeitern.”
Kogoro zeigte wieder seine Zweifel an Frau Yabuchis Aussagen: “Na, wenn ihm im Betrieb etwas dazwischengekommen ist, was ihn dazu brachte, einen Massenmord zu begehen, hätten wir das Motiv gefunden. Wenn wir nur gut genug nachforschen, wissen Sie, was einen friedlichen Angestellten wie Herrn Arita zu einem Amokläufer mutieren ließ.”
“Es ist ihm tatsächlich etwas dazwischengekommen. Aber das war ganz bestimmt kein Grund, seine ganzen Mitarbeiter über den Haufen zu schießen. Es wäre wohl eher das Gegenteil der Fall gewesen.”
Kogoro fragte verwirrt: “Es wäre wohl eher das Gegenteil der Fall gewesen? Wie habe ich denn das zu verstehen?”
“Er wurde eine Woche vor dem Blutbad zum Mitarbeiter des Monats gewählt und war auch sehr zufrieden mit seinen Leistungen. Ändert das Ihre Ansichtsweise dieses Falles, Herr Akechi?”
Kogoro nickte nachdenklich: “So gesehen wäre es tatsächlich absurd, anzunehmen, dass Herr Arita den Massenmord begangen hat. Wer läuft schon Amok, wenn er eine Woche davon zum Mitarbeiter des Monats gewählt wurde?”
“Das ist der Grund, warum wir denken, dass jemand anderes für das Blutbad verantwortlich ist. Herr Arita kann dieses Verbrechen gar nicht begangen haben! Deswegen haben wir Sie nach Hokkaido gerufen: Sie sollen diesen Fall für uns aufklären. Das Honorar beträgt zwei Millionen Yen (entspricht in etwa 17.000€).”
Kogoro wehrte sich: “Ich kann diesen Fall nicht lösen! Es sprechen zu viele Indizien für Herrn Arita als Täter: Er wurde auf den Überwachungskameras bei der Durchführung der Tat gefilmt; es gab einen Zeugen, der Herrn Arita als Täter identifizieren konnte und erschwerend kommt noch hinzu, dass Herr Arita nach der Tat in einem von innen verriegelten Raum Selbstmord begangen hat. Wenn er nicht der Täter war, wer dann?”
Frau Yabuchi lächelte: “Das ist Ihre Aufgaben, es herauszufinden. Sie haben schon durchaus schwerere Fälle jenseits des Möglichen gelöst und werden auch in der Lage sein, diesen Fall zu lösen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie, soweit es möglich ist, unterstützen werde. Ich wünsche Ihnen viel Glück.”
Wie auch schon letztes Mal, besiegelten sowohl Frau Yabuchis Versprechen, uns bei der Aufklärung des Falles zu helfen, und ein abschließender Glückwunsch das Schicksal, dass wieder einmal wir den Fall zu lösen hatten.
Doch wo sollte man in so einem Fall mit den Ermittlungen beginnen?

Wird fortgesetzt…

_______________________________

Kritik ist übrigens erwünscht.
akechi90 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.12.2005, 13:02   #2
Askeron
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 59


Ein kleiner Ausflug nach Japan um mit zwei Detektiven einen komplizierten Fall zu knacken? Warum nicht Das Setting ist allemal erfrischend und bietet genug Raum um tiefer in die dortige Kultur einzutauchen. Zwar erinnerten mich die Namen der Hauptdarsteller etwas an die einer Tv Serie aus dem Nachmittagsprogramm, aber das ist keine Kritik in dem Sinne. Eher eine Feststellung. Der Fall scheint auf den ersten Blick undurchsichtig und verwirrend kompliziert, nichts desto trotz fielen mir aus dem Stehgreif 3 mögliche Auflösungen ein. Bin mal gespannt für welchen Weg du dich entscheidest oder ob es dir gelingt etwas Neues und Überraschendes zu erschaffen.

MfG

Askeron
Askeron ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.12.2005, 02:18   #3
akechi90
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 35


Teil 2: Der Zeuge, der schwieg

Wie auch schon letztes Mal, besiegelten sowohl Frau Yabuchis Versprechen, uns bei der Aufklärung des Falles zu helfen, und ein abschließender Glückwunsch das Schicksal, dass wieder einmal wir den Fall zu lösen hatten.
Doch wo sollte man in so einem Fall mit den Ermittlungen beginnen?
Kogoro gab auf meine eigentlich nur gedachte Frage eine Antwort, als könnte er meine Gedanken lesen: “Wo finde ich denn diesen Herrn, der sich unter einem Schreibtisch versteckt hatte? Wie hieß er noch mal? Und seine persönlichen Daten würden mich auch interessieren.”
Frau Yabuchi schlug eine Akte auf, die auf dem Schreibtisch lag und las heraus: “Sie meinen also Herrn Yoshiyuki Soga… Also, ich sehe aus der Akte, dass er 38 Jahre alt ist und eigentlich in einer anderen Zentrale des Betriebs arbeitet. Wenn ich das hier richtig lese, arbeitet er im Labor von Arimoto Systems, genauer gesagt ist er für die Halbleitertechnik zuständig. Somit gehört er also auch zu den Angestellten des Betriebs.” Frau Yabuchi tat sich ein wenig schwer bei der Aussprache des Wortes, ließ sich davon aber so wenig wie möglich anmerken.
“Aha, und wo werde ich ihn jetzt finden?”
“Der ist im Krankenhaus; im Zentralklinikum gleich um die Ecke. Er ist zwar nicht bei dem Amoklauf verletzt worden, aber er hatte eine Tetraplegie und konnte nicht sprechen, als er eingeliefert wurde.”
Kogoro überlegte: “Eine Tetraplegie, sagen Sie? Dann konnte er sich also nicht bewegen, als er eingeliefert wurde?”
“Genau das! Die Ärzte sagen aber, es wäre nur psychosomatisch. Schließlich hat er einen Amoklauf miterlebt und war aufgrund der schrecklichen Erlebnisse so durch den Wind, dass sein Nervensystem verrückt gespielt hat und er seine Gliedmaßen nur sehr schwach bewegen konnte. Deswegen konnte er auch nicht sprechen, als er eingeliefert wurde.”
“Dann wäre das also eine sinnvolle Erklärung dafür, dass er einen ganzen Tag lang unter einem Schreibtisch saß, ohne sich zu regen?”
“Möglich ist es.”, entgegnete Frau Yabuchi, “Aber so etwas sollten Sie lieber die Ärzte im Zentralklinikum fragen, die kennen sich mit solchen Sachen auch besser aus als ich. Auch wenn ich von so einem Fall zum ersten Mal höre… Aber Sie machen das schon!”
“Kann der überhaupt wieder reden? Ich unterhalte mich nämlich für meine Ermittlungen nicht gerne mit Stummen.” Ich merkte, dass Kogoro den Fall eher widerwillig übernahm. Wahrscheinlich ließ er sich auch nur an Frau Yabuchis Modestil aus, weil er den Fall eigentlich nicht übernehmen wollte, aber es des Geldes wegen machen musste. Schließlich hatte er einen Teil seiner Ersparnisse schon alleine für die Fahrt mit dem Shinkansen und das Hotelzimmer ausgeben. Jetzt den Fall nicht anzunehmen, wäre ein böser finanzieller Fehler gewesen, zumal das Honorar zwei Millionen Yen betrug.
“Herr Akechi! Herr Soga ist seit exakt einer Woche im Krankenhaus. Er wird bestimmt wieder reden können. Und wenn er es nicht kann, sprechen Sie eben nicht mit ihm und lösen den Fall auf eine andere Weise! Ab jetzt werde ich den Fall Ihnen überlassen. Ich kenne Sie und weiß, dass Sie das vorerst auch ohne mich hinbekommen. Ich hab denen im Zentralklinikum angerufen und gesagt, es würde ein Detektivduo zu denen kommen, das Herrn Soga ein wenig befragen wird, und zwar um exakt 17.00 Uhr. Das ist in einer Dreiviertelstunde, also beeilen Sie sich ein bisschen! Er ist der einzige Zeuge, den wir in diesem Fall haben, also ist seine Befragung die wichtigste. Sie kommen da auch locker zu Fuß hin. Also, darf ich Sie bitten, zu gehen? Ich muss noch ein wichtiges Telefonat mit Izu führen. Hauptkommissar Tsujimura wird nicht gerade erfreut sein, wenn ich ihn nicht pünktlich anrufe. Gehen Sie jetzt bitte! Sie brauchen nur eine Viertelstunde, bis Sie im Krankenhaus angekommen sind.”
“Das freut mich zu hören. Und was machen wir in der restlichen halben Stunde?”
Ich schlug vor: “Trinken wir doch in der Zwischenzeit einen Kaffee. Was hältst du davon, Kogoro?”
“Gute Idee.” Kogoro fing wieder zu Lächeln an, woraufhin wir uns aus Hauptkommissarin Yabuchis Büro heraus begaben, anschließend aus dem Polizeipräsidium, um das nächst beste Café aufzusuchen…

Wir standen vor Zimmer 228 des Zentralklinikums von Hokkaido, wie man es uns an der Rezeption gesagt hatte. Es war kurz vor 17.00 Uhr.
Im Klinikum roch es intensiv nach Desinfektionsmittel, selbst in der Station, in der Herrn Sogas Tetraplegie - so hatte zumindest Frau Yabuchi Herrn Sogas psychisch bedingte Lähmung genannt - behandelt werden musste. Ich verabscheute diesen Geruch schon seit Ewigkeiten. Daher war ich nicht wirklich gewillt, mich länger als eine halbe Stunde in dem Gebäude aufzuhalten.
Wir klopften an der Türe des Zimmers 228 und traten ein. Es waren dort zwei Krankenbetten aufgestellt worden, wovon das eine leer war. Im anderen lag ein Herr mittleren Alters, der schulterlange schwarze Haare hatte, die aber wahrscheinlich wegen des Krankenhausaufenthaltes sehr zerzaust waren, und die bei ihm weniger den Eindruck eines Laboranten erweckten, schon eher den eines Hackers…
An dem Krankenbett hing ein Schild mit der Aufschrift Soga , das darauf hindeutete, dass die leicht verwahrloste Gestalt offensichtlich Herr Soga war.
Er starrte uns mit halb apathischem Blick an und fragte schwach: “Sie sind von der Polizei, nicht wahr?”
Kogoro schüttelte den Kopf und korrigierte: “Wir kommen im Auftrag der Polizei, aber wir sind nur gewöhnliche Detektive.”
“Sie haben doch hoffentlich keine Waffen dabei? Sollten Sie welche bei sich tragen, würde ich Sie bitten, die vor dem Zimmer abzulegen. Seit dem Vorfall vor einer Woche ist es mir unangenehm, mit bewaffneten Personen im selben Raum zu sitzen.” Herr Soga musterte uns kritisch, was höchstwahrscheinlich auf den Vorfall eine Woche zuvor zurückzuführen war. Es war meinem Wissen über Psychologie nach zu urteilen normal, dass ein Teil der Erinnerungen an ein belastendes Ereignis Zweifel hervorrief, sei es nun an Personen oder Tatsachen.
“Wir sind nicht bewaffnet. Wir möchten Ihnen nur ein paar Fragen in Zusammenhang mit dem Amoklauf stellen.”
“Warum denn das?”, fragte Herr Soga mit nahezu kraftloser Stimme, “Es ist doch klar, dass der eine merkwürdige Angestellte mit der Riesenbrille dieses Blutbad angerichtet hat.”
Ich merkte an: “Das Blutbad, von dem nur Sie und ein paar Überwachungskameras Zeugen waren… Man hat Sie noch nicht befragt. Und da Sie der einzige menschliche Zeuge von Herrn Aritas Amoklauf waren, brauchen wir Ihre Aussage.”
“Verstehe schon. Fangen Sie an mit Ihrer Befragung!” Herr Soga schaute uns erwartungsvoll an.
Doch Kogoro forderte nach kurzem Schweigen Herrn Soga schließlich auf: “Ich werde Ihnen keine Fragen stellen. Erzählen Sie mir einfach, was an dem Tag geschehen ist, an dem Herr Arita Amok gelaufen ist.”
“Na gut, ich werde Ihnen sagen, was da passiert ist: Ich bin vor dem Vorfall jeden Dienstag wöchentlich zur Finanzzentrale gefahren, um eine Liste mit den Auslagen des Labors vorbeizubringen. Ich mache das jedes Mal kurz vor 8.00 Uhr, da abends alles bearbeitet sein muss. Normalerweise lief das ja immer so ab: Ich legte die Akten bei Herrn Isogami, der leider auch bei dem Massenmord umgekommen ist, zur Bearbeitung auf den Schreibtisch. Das habe ich auch an diesem Tag gemacht. Als ich aber wieder die Treppe runter ins Erdgeschoss… Ach, ich muss doch noch erwähnen, dass die Finanzzentrale aus nur zwei Stockwerken besteht… Auf jeden Fall bin ich die Treppe runter und habe auf einmal aus der Richtung des Eingangs ein Geräusch gehört. Es war ein mehrfaches Rattern. Da habe ich natürlich noch nicht geahnt, was passiert war, aber ich musste es früh genug feststellen…”
Herr Soga hielt einen Augenblick inne und schwieg mit angespannter Miene. Er griff nach drei Tabletten, die auf dem für Krankenhäuser üblichen, neben dem Bett stehenden Tisch lagen. Mit einem Schluck Wasser nahm er die Tabletten ein und schien wieder zu entspannen. Da kein Gespräch im Zimmer stattfand, konzentrierte ich mich wieder auf den stechenden Geruch der Desinfektionsmittel. Dieser Geruch verleitete mich beinahe dazu, das Klinikum auf der Stelle zu verlassen und Kogoro mit Herrn Soga sitzen zu lassen. Doch mein Interesse an dem Fall war größer als dieses Verlangen.
Nach einer dreiminütigen Pause war Herr Soga wieder in der Lage zu sprechen, was sich in einer Klage äußerte: “Wegen diesem Zwischenfall muss ich auch noch Psychopharmaka nehmen, bei denen ich das Risiko eingehe, von dem Zeug abhängig zu werden. Aber was soll’s! Wenigstens bin ich noch am Leben.” Wieder machte Herr Soga eine kurze Pause, wobei Kogoro einen gleichgültigen, aber zugleich nachdenklichem Blick auf dem Gesicht zeigte. “Auf jeden Fall musste ich dann feststellen, dass zu diesem Zeitpunkt schon einige Leute vom Personal blutüberströmt auf dem Boden lagen, während der Typ mit Brille mit einem Maschinengewehr wild in die Menge der Angestellten schoss und dabei weitere Leute umbrachte. Und das Blut… es spritzte überall hin, an alle Wände… Die Wände waren mehr rot als weiß! Ich rannte nach diesem Anblick sofort wieder nach oben, um das Personal im Obergeschoss zu warnen. Aber da war es schon zu spät: Der Typ kam die Treppen hoch und schoss auf alle, außer auf mich; ich hatte es nämlich gerade noch rechtzeitig geschafft, mich unter Herrn Isogamis Schreibtisch zu verstecken und hoffte, dass mich der Mann nicht fand. Dann fiel Herrn Isogamis Leiche neben mich, sie hat mich mit einem leeren Blick angestarrt, die ganze Zeit über. Ich konnte aus meinem Versteck hinter einem Aktenvernichter und einem Papierkorb hindurch erspähen, dass der Typ mit dem Maschinengewehr auf und ab ging und dabei die Türen der Büroräume aufschoss, in denen sich einige wenige Angestellte gerade noch verstecken konnten. Was er mit denen machte, können Sie sich wahrscheinlich denken, Herr Akechi, nicht wahr?”
Kogoro nickte, wobei er die Augen schloss, wahrscheinlich um seine Trauer um die Angestellten auszudrücken, die gegen den bewaffneten Herrn Arita keine Chance hatten.
Herr Soga führte weiter aus: “Nur einer der Büroräume war nicht verschlossen; den hat er nicht eingeschossen. Meine Armbanduhr zeigte mir zwar, dass er sich nach 25 Minuten in diesem Raum einschloss, aber mir kam es vor wie drei Stunden… Ich sah aus meinem Versteck heraus, wie er den Raum betrat und die Türe schloss. Danach konnte ich nur noch hören, wie aus dem Inneren des Raumes der Drehknopf zum Verschließen der Türe umgedreht wurde. Zwei Minuten später endete der Amoklauf schließlich mit vier schnell aufeinander folgenden Schussgeräuschen. Offensichtlich hatte der Typ Selbstmord begangen. Ich blieb aber noch immer ängstlich unterm Schreibtisch hocken und wartete ab, bis jemand kommen würde…”
Nach einer kurzen Unterbrechung führte die in dem Bett liegende Gestalt weiter aus: “Und da ist dann auch jemand gekommen.”
Wir vermuteten, dass er die Betriebsprüfer meinte, doch die jetzige Aussage kam mehr als überraschend: “Und zwar um 16.45 Uhr am selben Tag. Da habe ich unten gehört, wie jemand die untere Eingangstür aufschloss und im Erdgeschoss herumlief. Ich wollte aufstehen, doch es ging nicht. Ich versuchte um Hilfe zu rufen, doch das ging auch nicht. Also verweilte ich unter dem engen Schreibtisch und wartete, bis jemand auf mich aufmerksam wurde. Am nächsten Tag kamen dann schließlich die Betriebsprüfer. Die haben mich dann auch letztendlich unter dem Schreibtisch gefunden und die Polizei und den Krankenwagen gerufen. Ich habe den Betriebsprüfern ein Foto in die Hand gedrückt, wo der Typ drauf zu sehen war, der alle Leute in der Finanzzentrale erschossen hatte. Er schien der Mitarbeiter des Monats gewesen zu sein. Dann wurde ich ins Krankenhaus gebracht. Das war alles, was ich Ihnen über den Amoklauf berichten kann. Haben Sie noch Fragen zu meiner Schilderung?”
Herr Soga legte sich wieder bequemer in dem Krankenhausbett hin und schien Kogoros Meinung abzuwarten.
Entgegen seiner üblichen Gepflogenheiten antwortete Kogoro auf Herrn Sogas Frage folgendermaßen: “Nein, ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Wir werden Sie jetzt wieder alleine lassen. Wir wünschen Ihnen eine gute Besserung.” Wir verbeugten uns vor Herrn Sogas Bett und verließen das Krankenzimmer, bevor ich die Gelegenheit hatte, mich über den Krankenhausgeruch zu beschweren und alleine Reißaus zu nehmen.
Auf dem Weg nach draußen hielt uns ein Arzt mit dunkelblonden, kurz geschnittenen Haaren auf. Auf der Brusttasche seines Arztkittels in einem steril wirkenden Weiß prangte ein Namensschild, auf dem der Name Dr. Kiyohiro Ishida stand. Er fragte uns in gleichmäßigem, nicht gefühlsbetontem Wortlaut: “Haben Sie mit ihm gesprochen?”
Kogoro bejahte: “Ich habe ihn sprechen lassen. Ist er denn aus Ihrer Sicht glaubwürdig? Also, ich meine, ist es wirklich in der Realität möglich, dass jemand aufgrund eines Traumas mehr als einen ganzen Tag lang weder in der Lage ist zu sprechen, noch seine Gliedmaßen zu bewegen?”
Nach kurzem Grübeln gab Dr. Ishida eine Antwort auf Kogoros Frage: “Um ehrlich zu sein: ich habe so einen Fall noch nie erlebt. Aber die Fachliteratur behauptet, es wäre tatsächlich möglich, dass der Körper ein Trauma auf diese Weise verarbeitet. Seine Paraplegie konnte jedenfalls durch unsere Untersuchungen bestätigt werden. Er ist kein Simulant, falls Sie darauf anspielen wollten.” Dr. Ishida bedachte uns mit einem stechenden Blick. Außerdem fiel mir auf, dass Frau Yabuchi zuvor ihren medizinischen Fachbegriff nicht nur falsch ausgesprochen hatte. Nein, sie hatte sogar den falschen Begriff verwendet.
Ich fragte zweifelnd: “Dann bedeutet das also, er konnte nur seine Beine nicht bewegen?”
“Ganz genau! Herr Soga war jederzeit in der Lage, seine Arme zu bewegen. Aber ich weiß nicht, was Sie mit diesen Fragen bezwecken wollen. Glauben Sie etwa, er ist ein Simulant?” Dr. Ishida zog zweifelnd seine linke Augebraue hoch.
“Das können wir noch nicht sagen. Aber bisher ist er der einzige Zeuge von Herrn Aritas Amoklauf und da müssen wir bei der Befragung klarerweise auf Nummer Sicher gehen. Dennoch danken wir Ihnen für Ihre Auskünfte, Herr Dr. Ishida.” Wir verbeugten uns wie auch von Herrn Soga mit der üblichen Verbeugung, mit der man sich in Japan voneinander verabschiedet, und verließen das nach Desinfektionsmitteln stinkende Klinikum endgültig.

Auf dem Weg zu dem Hotel fragte mich Kogoro: “Hast du es mitbekommen, Ikuya? Herr Soga hat behauptet, dass jemand ein paar Stunden nach dem vermeintlich von Herrn Arita begangenen Amoklauf in der Finanzzentrale herumgeschlichen ist. Wenn Herr Soga sich weder irrt noch uns anlügt, können wir davon ausgehen, dass mehr hinter diesem Fall steckt als nur ein durchgedrehter Angestellter.”
Ich entgegnete: “Und wenn Herr Soga sich irrt oder uns gar anlügt? Was machen wir dann in diesem Fall?”
“Dann müssen wir wohl andere Geschütze ausfahren. Aber vorerst sollten wir Herrn Sogas Aussage Vertrauen schenken. Wenn es nämlich richtig ist, was er uns erzählt, dann hat jemand Unbekanntes etwas im Untergeschoss der Finanzzentrale gemacht, wovon möglichst niemand erfahren sollte.”
“Und was gedenkst du jetzt zu tun, Kogoro?”
“Wir sollten erst mal den Chef der Finanzzentrale befragen. Er wird bestimmt mehr über Herrn Arita wissen als ein Laborarbeiter, der nur einmal pro Woche in der Finanzzentrale vorbeikommt. Wie hieß er noch mal?”
“Wenn ich mich bei Hauptkommissarin Yabuchi nicht verhört habe, ist sein Name Iwao Tsumagari.”
Kogoro fasste sich an den Kopf: “Stimmt! Tsumagari war sein Name, wie konnte ich das nur vergessen? Gut, schauen wir mal, was er uns über Herrn Arita zu berichten hat. Aber nicht mehr heute, es ist schon zu spät.”
So liefen wir durch die verschneite Innenstadt von Sapporo, um unser Hotel zu suchen. Und natürlich, um darüber nachzudenken, wie uns die Ermittlungen am folgenden Tag weiterbringen würden…

Wird fortgesetzt…
akechi90 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2006, 02:17   #4
akechi90
 
Dabei seit: 08/2005
Beiträge: 35


Teil 3: Eine vage Vermutung

Klar war, dass der Chef bestimmt mehr über Herrn Arita wusste als Herr Soga. So riefen wir noch am selben Abend gegen 19.00 Uhr vom Hotelzimmer aus bei Hauptkommissarin Yabuchi im Polizeipräsidium an, um uns über den Chef der Finanzzentrale zu erkundigen und seine Telefonnummer zu erhalten. Dies lief reibungslos ab, da Frau Yabuchi schon alle Ordner für unseren Fall auf ihren Bürotisch gestellt hatte. Ganz offensichtlich lag ihr viel daran, diesen Fall zur Auflösung zu bringen.
Mit einer Flasche billigem Sake wurde beendete ich zusammen mit Kogoro im Pub des Hotels den Tag. Leider vergaß ich dabei, wie gedankenlos ich in Kogoros Gegenwart zehn Schälchen Sake kippen konnte…

Ich wachte in unserem Hotelzimmer auf dem Boden liegend auf. Mein Kopf dröhnte. Am Vorabend hatte ich mich beim Trinken des Sake wohl übernommen. Kogoro hingegen wachte völlig normal im Hotelbett auf und schien die Nachwirkungen der durchzechten Nacht nicht zu spüren, da er gleich nach dem Aufwachen bemerkte: “Hast du auch gut geschlafen, Ikuya?”
Ich antwortete mit dröhnendem Kopf: “Kein Bisschen! Was steht heute auf dem Plan?” Ich stand von dem kalten Parkettboden des Hotelzimmers auf und schaute im Kleiderschrank nach meiner Tasche, in der ich meine amerikanischen Aspirin aufbewahrte.
Als ich die Tabletten schließlich fand, ging ich mit diesen ins Badezimmer. Ich hörte Kogoro aus dem Bett heraus etwas rufen: “Heute ist die Befragung des Chefs dran. Du weißt schon, dieser Herr Tsumagari…”
“Stimmt ja, wir haben uns gestern Abend ja extra noch von Frau Yabuchi seine Telefonnummer geben lassen.” Ich füllte mir Wasser in ein Glas und spülte damit zwei Aspirin herunter.
Als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass der Trinkabend auch bei Kogoro Nachwirkungen hinterlassen hatte. Er nahm die Decke von sich, woraufhin ich feststellen musste, dass er seinen Anzug beim Schlafen angelassen hatte - eine Unart, die ich sonst nicht von ihm kannte. Ich wartete, bis die Wirkung der Aspirin einsetzen würde…
Eine halbe Stunde später waren meine Kopfschmerzen wie weggeblasen. Nun fühlte ich mich wohl genug, um für uns bei Herrn Tsumagari einen Termin auszumachen.
Ich fand die Nummer auf einem Zettel notiert, der in der Unordnung eines Kleiderschrankes versteckt war und gab sie in das antiquierte Telefon ein, das in unserem Hotelzimmer auf dem Sideboard stand.
Nach dreimaligem Klingeln hörte ich eine ruhige, gleichmäßige Männerstimme: “Hier Kojima von Arimoto Systems . Wie kann ich Ihnen helfen?”
Ich fragte, etwas überrascht, nicht mit Herrn Tsumagari verbunden worden zu sein: “Sie sind nicht Herr Tsumagari?”
“Nein, ich bin sein Sekretär. Wenn Sie aber mit Herrn Tsumagari sprechen wollen, kann ich Sie gerne mit ihm verbinden.”
“Ja, das wäre sehr freundlich von Ihnen.” Ich war in die Wartschleife gestellt worden, was ich an einer monotonen Melodie erkennen konnte, die ich am anderen Ende hören konnte.
Nach ungefähr einer Minute meldete sich eine Person mit einer eher düsteren und streitlustigen Stimme: “Hier Tsumagari! Was wollen Sie von mir?” An einer leichten Verzerrung im Stimmbild hörte ich sofort, dass Herr Tsumagari eine Zigarre oder etwas ähnliches im Mund hatte, während er mit mir am Telefon sprach.
“Wir wollen Sie zu dem Zwischenfall mit Herrn Arita in der Finanzzentrale Ihres Betriebs befragen, am besten noch heute.” Ich kam mir mit meiner extrem leisen Stimme vor wie der krasse Gegensatz meines Gegenübers.
“Halten Sie das etwa wirklich für nötig?”, fragte der offensichtlich sehr rüde Mann, mit dem ich gerade sprach, “Kann das nicht bis in einer Woche warten?”
“Haben Sie denn heute Nachmittag keine Zeit, dass wir Sie befragen können?”
“Da wollte ich ja eigentlich zum Golfspielen. Und das werde ich bestimmt nicht ausfallen lassen!”
“Könnten Sie Ihren Termin nicht einfach verschieben? Es stört doch bestimmt niemanden, wenn sie eine halbe Stunde später kommen.” Obwohl es ein ganz normales Gespräch war, um einen Termin auszumachen, bekam ich langsam Angst, dass Herr Tsumagari den Termin auf ewig herauszögerte.
Herr Tsumagari erwiderte meine Frage: “Meine Antwort bleibt nach wie vor Nein! Ich werde mir vielleicht überlegen, ob ich nächste Woche Zeit habe. Aber nicht heute! Ich gehe auf den Golfplatz.”
Zeit für meine argumentativen Spezialwaffen: “Wir können natürlich auch die Polizei veranlassen, Sie festzuhalten, wenn Sie nicht kooperieren wollen. Dann können Sie Ihren Golftermin aber vollständig vergessen.” Erstmals fühlte ich mich in diesem Telefonat dem unsympathischen Gegenüber überlegen und hoffte darauf, dass Herr Tsumagari aufgab.
“Na gut, na gut!”, hörte ich die wütende Stimme aus dem Hörer bellen, “Verschieben müsste eigentlich drin sein. Also kommen Sie heute möglichst gegen 11.00 Uhr. Wie viel Zeit werden Sie für Ihre Befragungen benötigen?”
“Soviel Zeit, wie Sie zum Beantworten unserer Fragen benötigen.”, konterte ich, “Soll heißen, wenn Sie kooperieren, geht es schneller, wenn nicht…”
“Ja, ja, habe schon verstanden. Also, wir werden uns dann ja sehen. Es ist das Büro 313 im dritten Stock. Sie kommen mit dem Aufzug dorthin. Wir sehen uns.” Nach diesen hektischen Worten legte Herr Tsumagari augenblicklich auf. Es war wirklich kein allzu langes Telefonat…

Wir betraten Herrn Tsumagaris Büro, einen peinlich genau eingerichteten Raum, der voll gestellt war mit Antiquitäten aus aller Herren Länder: in der rechten Zimmerecke stand eine amerikanische Kommode im Jugendstil, hinter dem Schreibtisch hing ein altes Katana (Samuraischwert) aus der Edo-Zeit… Erst staunten wir über die feudale Einrichtung, bis wir durch den fettleibigen Mann, der hinter dem Schreibtisch in einem schwarzen Ledersessel saß, wieder auf den Boden der Tatsachen gezogen wurden. Er hatte ein aufgequollenes Gesicht, rote Backen zeugten von einem offensichtlich zu hohen Blutdruck, fettige schwarze Haare fielen ihm von dem unsauber gezogenen Seitenscheitel ins Gesicht. Das abstoßende Gesamtbild dieses unsympathischen Herrn wurde durch eine qualmende Zigarre in der rechten Hand weiter verstärkt. Hier konnten auch Krawatte und Anzug nicht mehr helfen…
Mit lässigem Sitz und ebenso lässiger Miene dirigierte er uns mithilfe seiner Zigarre in Richtung der schwarzen Ledersessel: “Setzen Sie sich! Ich habe sowieso gerade nicht viel Zeit. Also bringen wir es besser schnell hinter uns, damit ich heute noch zum Golfspielen kommen kann.”
Wir folgten der Anweisung und setzten uns in die Sessel. Herr Tsumagari nahm seine Zigarre und hielt sie mit den Lippen fest, während er uns aus den Mundwinkeln heraus aufforderte: “Also, fragen Sie mich, was Sie von mir wissen wollen! Ich habe nicht ewig Zeit.” Seine Stimme nahm wieder dieselbe Tonlage an wie bei dem Telefonat.
Kogoro fing ohne mit der Wimper zu zucken mit der Befragung an: “Nun gut, wie Sie meinen… Kannten Sie den Amokläufer, Herrn Arita? Soweit ich weiß, sind Sie der Chef seiner Finanzzentrale gewesen, genau?”
In angeberischer Stimme tönte es zurück: “Nicht nur der. Ich bin nicht nur der Chef der Finanzzentrale. Ich bin der Chef von diesem ganzen Laden hier.”
“Aber der Betrieb heißt bestimmt nicht Tsumagari Systems .”, konterte Kogoro mit einem schnippischen Lächeln.
“Na und, Herr Arimoto ist schon vor drei Jahren gestorben. Jetzt führe ich das Geschäftsimperium. Und da sich der Name Arimoto schon seit Jahren bewährt hatte, wurde ich zum neuen Arimoto.”
“Das interessiert uns nicht! Wie schätzten Sie Herrn Arita als Angestellten ein?”
“Er war ein tüchtiger Angestellter. Probleme hatte er eigentlich nie. In der Buchhaltung hat er keinen einzigen Fehler gemacht und hat es in der Finanzzentrale sogar zum Mitarbeiter des Monats geschafft. Über sein Privatleben habe ich allerdings nie etwas erfahren. Er war eben unauffällig…”
“Ist das der Typ Angestellter, der Ihnen gefällt?”, zweifelte Kogoro. “Ein Jasager?”, fügte Kogoro mit scharfem Blick hinzu.
“Solange sie alles richtig machen, ist der Betrieb sowieso in Ordnung. Es gibt vielleicht bei ein paar wenigen Leuten den Mythos des “sozialen” Betriebs, aber daran glauben wir nicht. Bei uns zählt Leistung. Wie hätten wir sonst nach Herrn Arimotos Tod den 48-Stunden-Akku entwickeln können?”
“Und wenn Herr Arita genau deswegen unter Leistungsdruck stand, wahnsinnig wurde und danach seinem Wahnsinn freien Lauf ließ? Wenn dem wirklich so war, dann haben Sie eine Klage wegen Totschlags am Hals. Denn sollten Sie Ihre Angestellten unter zu starken Druck gesetzt haben, haben Sie damit den Amoklauf quasi provoziert.”
“Das ist ein Nebeneffekt der heutigen Wirtschaft. Wenn er unter Leistungsdruck stand, hat er ihn selbst herbeigeführt. Dafür können Sie mich nicht verantworten.” Gefühllos und mit verächtlichem Blick sprach Herr Tsumagari diese Worte, die uns immer mehr mit Wut erfüllten.
“Was soll es denn sonst für einen Grund gegeben haben?! Ein harmloser Angestellter läuft Amok!”
“Und wenn ich Ihnen sage, dass Herr Arita keinerlei Aggressionspotential hatte, werden Sie es mir wahrscheinlich auch nicht glauben.”, wehrte sich Herr Tsumagari.
Kogoro nickte: “Das kann ich Ihnen auch nicht glauben. Herr Arita hatte mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit ein weit ausgeprägtes Aggressionspotential. Gab es denn keine Situationen, in denen Herr Arita aggressiv reagiert hätte?”
“Nein, ganz bestimmt nicht! Jetzt glauben Sie mir doch einfach!”
Auf einmal stürmte ein bebrillter Herr mit kurzen schwarzen Haaren herein. Er war das absolute Gegenteil von Herrn Tsumagari - er war gepflegt und wirkte durchaus höflich. Was das Gewicht anging, war der Unterschied zu Herrn Tsumagari wohl sofort zu erkennen. Er unterbrach die Befragung mit ruhiger Stimme: “Herr Tsumagari, es tut mir sehr Leid, dass ich Ihr Gespräch unterbrechen muss, aber…”
“Was wollen Sie jetzt schon wieder von mir, Kojima?”, motzte Herr Tsumagari den Mann an, der offenbar der Sekretär war, der uns am Morgen mit der unhöflichen Führungskraft verbunden hatte.
“Nun, Frau Okamura will wissen, wann sie die Schlüssel bei Ihnen abgeben kann. Sie möchte das noch im Laufe dieser Woche machen.”
“Sagen Sie ihr, dass das nicht geht!”
Von diesen barschen Worten gedemütigt, verließ Herr Kojima das Büro wieder. Kogoro fragte verwundert: “Okamura? Ist das nicht die Frau, die…”
Herr Tsumagari setzte gelangweilt fort: “Ja, ja. Frau Okamura ist die Chefin der Betriebsprüfer. Sie war beim Auffinden des Tatorts mit anwesend. Sie hat sich für die Betriebsprüfung bei mir einen Schlüssel der Finanzzentrale ausgeliehen.”
“Interessant.”, betonte Kogoro, “Das heißt also, dass sie jederzeit die Finanzzentrale betreten konnte?”
“Genau das heißt es.” Erstmals setzte Herr Tsumagari die ekelhafte Zigarre von seinen Lippen ab und stieß eine große Rauchwolke aus, welche nach einem Gemisch aus Vanille und Autoabgasen duftete.
“Welche Personen besitzen eigentlich den Schlüssel der Finanzzentrale? Sie führen doch bestimmt Buch, wer welche Schlüssel bei sich trägt, oder nicht?”
“Natürlich. Aber es sind sowieso nur die Angestellten in der Finanzzentrale, Herr Soga, Frau Okamura und zu guter Letzt meine Wenigkeit, die den Schlüssel besitzen. Ich kann mich nicht entsinnen, noch jemandem die Schlüssel überreicht zu haben.”
“Gut, könnten Sie mir außerdem auch sagen, wo Sie sich am Dienstag, dem 14. Januar, aufgehalten haben?”
“An diesem Tag war ich an vielen Orten! Nennen Sie mir die genaue Zeit, von der Sie sprechen!”
“Ich rede von dem Zeitraum von 8.00 Uhr bis 8.30 Uhr. Also, wo haben Sie sich da aufgehalten?”
“Da war ich auf einer Besprechung über das Projekt des 48-Stunden-Akkus. Das können Ihnen 15 weitere Personen bestätigen.” Herr Tsumagari rief durch das Büro: “Kojima! Kommen Sie mal her!”
Ein paar Sekunden später betrat der gepflegte Herr Kojima wie ferngesteuert das Büro: “Wie kann ich Ihnen helfen?”
“Bestätigen Sie den Herrschaften hier mal, dass ich an diesem einen Dienstag bei einer Besprechung war! Sie waren ja die ganze Zeit an meiner Seite, als über den Akku diskutiert wurde.”
“Selbstverständlich war Herr Tsumagari ständig bei der Besprechung anwesend. Er war der Diskussionsleiter.”
Auf Herrn Tsumagaris Lippen war ein leicht düsteres Lächeln zu erkennen, mit welchem er uns nickend klarmachte: “Sehen Sie, ich habe ein vollkommen perfektes Alibi. Wenn Sie glauben, ich hätte etwas mit dem Amoklauf zu tun, dann irren Sie sich! Schließlich kann ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, das wird Ihnen als Detektiv bestimmt sofort einleuchten.” Die Zigarre wurde wieder an die Lippen gesetzt.
Kogoro hakte mit gelassenem Blick nach: “Sie wissen aber bestimmt, dass wir vermuten, dass Sie bei Herrn Aritas Amoklauf eine große Rolle spielen? Und sollten wir bestimmte Auffälligkeiten in diesem Fall erkennen, die auf Sie zurückführen, sorgen wir dafür, dass Sie hinter Schloss und Riegel kommen. Und das versprechen wir Ihnen!”
“Pah, glauben Sie doch, was Sie wollen. Denken Sie doch nur logisch: Herr Arita wurde bei seinem Amoklauf gefilmt, er hat in einem von innen verriegelten Raum Selbstmord begangen. Und erschwerend kommt auch noch ein Zeuge aus Fleisch und Blut hinzu. Aber wenn Sie meinen, dass das in Ihren paranoiden Gedankengängen nicht zusammenpasst, dann lassen Sie mich damit in Ruhe. Gehen Sie damit lieber Ihren Vorgesetzten auf die Nerven!” Herr Tsumagari sagte dies mit verächtlichem Blick und seiner unverwechselbaren Stimme, die er hatte, während er mit einer Zigarre an den Lippen zu sprechen versuchte.
“Ich habe mir meine Meinung schon längst gebildet. Und die ist, dass Sie etwas mit dem Fall zu tun haben.”, konterte Kogoro. Wir verließen das Büro, ohne einen Abschied von Herr Tsumagaris Seite zu vernehmen.
Auf dem Weg aus dem Hauptgebäude heraus, zurück in das rettende Sapporo, wurden wir jedoch von Herrn Kojima freundlich verabschiedet, was auch wir mit einem höflichen Abschied entgegneten.

Auf den verschneiten Straßen von Sapporo waren wie üblich viele Passanten, die sich langsamen Schrittes, ohne jegliche Hektik, dort fortbewegten.
Ich fing eine Diskussion mit Kogoro an: “Was meinst du, Kogoro? Glaubst du wirklich, dass Herr Tsumagari der Täter war - natürlich nur, wenn Herr Arita tatsächlich unschuldig ist?”
“Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, Ikuya. Er ist ein Ekel, das ist korrekt. Aber sonst kann ich bei ihm keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen.”
“Du willst mir also allen Ernstes sagen, du hast noch keine Ahnung, was diesen Fall angeht? Wundert mich bei dir ein wenig. Sonst hattest du immer gleich nach wenigen Sekunden einen Tathergang und einen möglichen Täter im Kopf.”
“Dieser Fall ist ja anders als alle anderen, die ich bisher zu lösen hatte; er ist um ein Vielfaches mysteriöser als die Sachen, die wir zuvor lösen mussten.”
Ich merkte nicht an, dass der Fall mit Herrn Katsuragis Flugzeugabsturz ähnliche Ausmaße hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Frau Hiromi Katsuragi bei dem Mord an ihrem Mann Takuya aber auch ziemlich grob gepfuscht. Das, was wir jetzt als Fall vorgesetzt bekamen, war um einiges anspruchsvoller.
Ich fragte enttäuscht: “Dann bedeutet das also, dass wir noch keine einzige Spur haben, die uns irgendwie weiterführen könnte?”
“Leider nicht.” Kogoro schüttelte verneinend den Kopf.
“Auch keine Indizien?”
Wieder schüttelte Kogoro den Kopf.
“Das heißt wohl, dass wir vorerst auch keine Tatverdächtigen haben…”
“Die haben wir allerdings!”, erwiderte mir Kogoro überraschend.
“Wie willst du das ohne jegliche Spuren hinbekommen haben?” Ich war deutlich verwundert über Kogoros schnelle Kombinationsgabe.
“Es gibt insgesamt drei Tatverdächtige in diesem Fall, und an denen sollten wir jetzt ein wenig festhalten.”
“Wer ist das? Und warum? Mach’s nicht so spannend, Kogoro!”
“Na, ist doch leicht. Aber ich muss zugeben, dass alles lediglich eine vage Vermutung meinerseits ist, die nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zutreffen muss:…” Kogoros nachfolgender Gedanke war so einfach und genial zugleich, dass ich ein weiteres Mal über seine Fähigkeiten als Detektiv staunen musste…

Wird fortgesetzt…
akechi90 ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Schlechtes Betriebsklima




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.