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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 22.05.2008, 20:55   #1
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Standard Unputzig

Ich akzeptiere den Dreck und den Staub,
räum nicht mehr auf und sauge nichts weg.
Alles, was anfällt, soll ruhig verwesen, Besen
verbrannt und das Staubtuch zerschnitten.
Gelitten habe ich lange genug unter dem Fluch,
dem Terror der Hygiene. Und jene, die meinen,
das kann man nicht machen, werd ich verjagen.
Sollen sie klagen, was bekümmert es mich,
wenn kein Licht mehr durch die Fenster bricht.

Denn nur wer aus unreinem Topfe gespeist,
erkennt am Ende: Schmutz reinigt den Geist.
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.05.2008, 11:26   #2
norbert
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 276

hallo lyrwir,
mglw. reinigt schmutz den geist - und sei es zur erkenntnis, dass schmutz und dreck denn doch ab und an mal beseitigt werden müssen.
is halt alles dialektik und hat mit zeitabhängiger wahrnehmung zu tun...
liebe grüße
dreckbert
norbert ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.05.2008, 12:41   #3
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112

huhu Lyrwir :-)

ein schönes, lockeres, pointiertes Gedicht hast du da geschrieben.
Der Titel hat mich sofort fasziniert „Unputzig“ – was sich für mich eigentlich ironischer Weise ziemlich putzig und süß anhört *g*. Auf jeden Fall ist er sehr interessant, dadurch, dass er so ungewöhnlich ist.

Insgesamt erkenne ich in dem Gedicht den Aufruf zum „Dreck und zum Staub“ zu stehen. Du beschreibst sehr schön, wie das lyr. Ich nicht mehr aufräumen will. Mir gefällt in dem Zusammenhang die lockere Sprache, die auch manchmal etwas „bissig“ ist (wie mit „verjagen“ oder „Terror“ z.B.). An einigen Stelle findet sich sogar Umgangssprache („das kann man nicht machen“), die aber durchaus angebracht ist und die Sprache zusätzlich auflockert.
Hier passen auch die Ausdrücke „Besen verbrennen und Staubtuch zerschneiden“ sehr schön, da sie bildlich sind. Besonders gelungen auch, wie das „Licht nicht einmal mehr durch die Fenster brechen kann.“, was ich mir gut vorstellen kann :-)

Formal gesehen ist dein Gedicht mehr als „unregelmäßig“. Du setzt sehr geschickt das Enjambement oder den Reim innerhalb des Verses. Es ist kein Gedicht, was „schön“ oder „regelmäßig“ sein will. Die Form ist genauso „hässlich“ wie das Haus des lyr. Ichs irgendwann sein wird.

Das Gedicht verstehe ich in zweierlei Richtungen. Zunächst einmal, dass Sauberkeit auch übertrieben sein kann. „Terror der Hygiene“ erinnert mich an zahlreiche Werbespots und wie sie versuchen uns einzuhämmern, dass unser Leben nur mit „Domestos“ glücklich wird. Die Absage daran, erkenne ich hier.

Gerade durch die letzte Zeile, erkenne ich aber auch eine Art zweite Ebene in dem Gedicht. „Schmutz reinigt den Geist“, wobei du dich sehr geschickt des Sprichworts „Schmutz (oder Dreck?) reinigt den Magen“ bedienst und dieses umwertest – genauso wie du das Wort „Putzig“ umwertest.
Dies erinnert mich an das Sprichwort, dass der große Geist das Chaos – oder den Dreck – überschaut. Ich sehe hier nicht nur den Aufruf „Mut zum Dreck“, sondern auch „Mut zur Hässlichkeit“ (genau wie dein Gedicht formal nicht „schön“ oder „regelmäßig“ ist). Man könnte es als einen Aufforderung an den Dichter verstehen, auch mal „Mut zur Hässlichkeit“ zu beweisen oder aber generell als „erkenne das Schlechte, das Dreckige, das Dunkle in dieser Welt und sieh wie es dich „reinigt“, dir vielleicht gar nicht schadet, so wie du es fürchtest, sondern dich im übertragenen Sinne „läutert““.
Möglicher Weise interpretiere ich auch zu viel hinein, aber mir gefielen diese Gedanken sehr :-)

Also, wie gesagt mir gefällt, wie hier die Form, Inhalt und Sprache korrespondieren und auf die Aussage, die ich ebenso gelungen finde, hinaus laufen.

Ich habe nur einen Verbesserungsvorschlag. In der letzten Zeile schreibst du:

Denn nur wer aus unreinem Topfe gespeist,
erkennt am Ende: Schmutz reinigt den Geist.

Was sich ja durchaus reimt, man könnte es als weitere „Unebenmäßigkeit“ verstehen oder einfach nur zur Betonung der letzten Zeile.
Aber ich habe hier ein wenig weiter gedacht und finde, es könnte auch zeigen, wie die „Schönheit oder die Regelmäßigkeit“ auch in der Schönheit existieren kann – sowie die Reime in einem ungereimten Gedicht.
Hierzu würde nur das Metrum nicht passen, da durch den Doppelpunkt ein Bruch hervorgerufen wird, den ich übrigens auch beim Lesen nicht schön finde, weil es unnötig holpert.
Es war an der Stelle nur meine Idee, hier vl. tatsächlich ein „ebenmäßiges Metrum“ einzubauen, erstens wegen des Klangs und zweitens, weil es, wie gesagt, zeigen könnte, wie ein klares Metrum einem freien gegenübersteht bzw. die „Klarheit und Schönheit“ dem „Dreck und der Hässlichkeit“. Aber wie gesagt, ist nur eine Idee von mir und ich kann es durchaus verstehen, wenn sie dir nicht zusagt. Ist nur ein Vorschlag und ist ja dein Gedicht, was mir ja auch sehr gut gefällt :-)

liebe Grüße
Traumi
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.05.2008, 19:38   #4
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Norbert,
ich denke, dass man schmutzige (verbotene, unkorrekte) Gedanken zulassen muss, um sauber zu bleiben. Gut, die Hütte sieht nicht sooo toll aus, aber, wen kümmerts? Lieber ein freies Ferkel als ein Sklave von Meister Proper.
Hallo Traumwächterin,
vielen Dank für deine Interpretation. Inhaltlich hast du mich voll erwischt. Auch und gerade mit den letzten zwei Zeilen, mit denen ich "irgendwie" unzufrieden war und jetzt auch weiß, warum: hier sollte Harmonie herrschen, ein "sauberes" Metrum mit Endreimen im Gegensatz zu den Binnen- und Kreuzreimen in den anderen Versen.
Ich denke an:
Nur wer von dreckigen Tellern sich speist,
vermag es zu spüren: Schmutz reinigt den Geist.
LG,
LW
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.05.2008, 10:31   #5
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112

huhu lyrwir :-)

Zitat:
hier sollte Harmonie herrschen, ein "sauberes" Metrum mit Endreimen im Gegensatz zu den Binnen- und Kreuzreimen in den anderen Versen.
fänd ich gut :-)

Ich verstehe leider nicht viel von Metren, aber allein aus meinem Sprachgefühl finde ich den Doppelpunkt störend, er verursacht sofort einen Bruch beim Sprechen (zumindest wenn ich es laut ausspreche) Allerdings ist es schwierig den Doppelpunkt weg zu bekommen, ohne den Reim zu opfern. Die einzige Idee, die ich hätte wäre den Doppelpunkt durch ,dass oder ,wie zu ersetzen - aber ist auch nicht das Wahre, glaube ich.

Na ja, vielleicht fällt dir ja noch was hüpsches ein :-)

liebe Grüße
Traumi
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.05.2008, 12:36   #6
evilsuperbitch
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 1.073

hallo lyrwir,

dafür, dass es sich um ein gedicht handelt, in welchem über die vorzüge des drecks und schmutzes philosophiert wird, ist das gedicht doch recht klinisch. vielleicht solltest du den verfall der räumlichkeiten etc. auch durch die form und sprache verdeutlichen. oder das sich ordnend (im hinblick auf die letzten verse)

ansonsten: diese lehrgedichte, die am ende einem sagen, was man denken soll, so als pointe, die sind echt nicht mein ding.

gruß. lh.
evilsuperbitch ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.05.2008, 03:10   #7
U-hEXe
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 353

hallo lyrwir,
ich bin zwar auch kein spezialist in sachen metrum, aber m.E. bedarf es nur einer kleinen änderung, um rein zu werden:

Denn nur wer aus unreinem Topfe gespeist,
erkennt dies am Ende: Schmutz reinigt den Geist.

wahlweise könntest du genausogut dann/ noch/ wohl etc. einfügen. noch eleganter fände ich allerdings diese variante:

Denn nur wer aus unreinem Topfe gespeist,
erkennt gegen Ende: Schmutz reinigt den Geist.

ansonsten kann ich dem gedicht zwar durchaus einen unterhaltungswert zugestehen, erwartete jedoch aufgrund des pfiffigen titels ein wenig mehr - mit der einschränkung, dass es der kategorie fein und bunt garniert wiederum ganz gut entspricht.

lg u.
U-hEXe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.06.2008, 19:09   #8
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Lord Helmchen,
danke für deine Antwort. Im Rahmen meiner Möglichkeiten habe ich versucht, es einigermaßen verkurmelt zu halten, aber ich glaube, du hast recht, es könnte etwas durcheinanderer. Ein Lehrgedicht sollte es nicht sein, du meinst so wie: und die Moral von der Geschicht? Hmm, wahrscheinlich hast du auch da recht, aber sieh es bitte meinem Alter nach.
Hallo U-hEXe,
danke für deine Vorschläge. Klar, gegen Ende, das klappt. Nehme ich gerne.
Eigentlich finde ich den Titel schwach, Verlegenheitslösung für ein Gelegenheitsgedicht ohne höheren Anspruch, geschrieben nach dem Staubsaugen. Schön, dass es trotzdem ein wenig unterhält.
Euch LG,
LW
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
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