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Alt 11.11.2013, 18:41   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Standard Die Höhle

Kein Himmel.

In der Dunkelheit der Höhle, nur spärlich beleuchtet von der Fackel des seltsamen Reiters vor mir, gibt es nur den Mantel der Düsternis. Auf glatten Steinpfaden lotst er uns durch die Gänge und Hallen, Infini hat natürlich keine Ahnung wie wir hier reingeraten sind und ich noch viel weniger. Plötzlich war das bestirnte Firmament über uns verschwunden und wir fanden uns in vollkommener Dunkelheit wieder, und wer weiß was geschehen wäre, hätte uns nicht aus dem Schlund des schwarzen Nichts der flackernde Schein einer Fackel empfangen, der sich uns langsam näherte.

Allmählich schält sich die Gestalt einer merkwürdig abgemagert blassen Erscheinung aus dem verschwommenen Licht der tanzenden Flamme, die sie über ihrem zerschlissenen Hut in die Höhe hält, das Pferd das sie trägt ist fahl und dürr, mit offensichtlich erblindeten Augen findet es schlafwandlerisch sicheren Tritt auf dem feuchten Felsgestein unter seinen rissigen Hufen. Mit stechenden Augen mustert uns der Herangekommene im Kegel seiner Fackel eine ganze Weile, ehe er mit knarrender Stimme zu sprechen beginnt.

„Wohin des Weges, Fremder?“ Er hustet, räuspert sich. „Welch böses Geschick hat dich hierher an diesen düstren Ort geführt?“

Von einem solchen weiß ich nichts, antworte ich, eben noch war ich oben und jetzt bin ich hier unten, mehr könne ich ihm leider beim besten Willen auch nicht sagen. Vielleicht könne er mir ja weiterhelfen und sagen, wo ich mich hier befinde. Er aber antwortet nicht, verharrt ein paar Augenblicke in tiefes Nachdenken versunken, wendet plötzlich sein Pferd und brummt unwillig: „Folge mir!“

Was wir natürlich gerne tun, ihm brav und artig hinterher reiten, zumal er über eine Lichtquelle verfügt, die das totale Dunkel zumindest ein paar Meter weit verdrängt und triefende Wände zu beiden Seiten erkennen lässt, schroffes kantiges Gestein, durch das geisterhafte Schatten huschen. Nichts ist zu hören, nur das Klappern der Hufe hallt gespenstisch durch die ewige Nacht. Die Wände weichen, offenbar befinden wir uns in einer großen Höhle, das Licht verliert sich im Nirgendwo, bizarre Gebilde und Formationen säumen unseren schweigsamen Weg, zu Stein erstarrte Säulen flanieren den holprigen Pfad, auf dem wir uns mühsam und vorsichtig vorwärts tasten. Hier und da glaube ich Gesichter in ihren geschliffenen Konturen auszumachen, schemenhaft ihre Züge, mit starrem Blick, verkniffenen Mündern und hohlen Wangen scheinen sie keinerlei Notiz von uns zu nehmen, es ist als würden sie nach innen blicken, unendlich tief in ihre eingeschlossene, in Stein gefangene Seele hinein, unermessliches Grauen und namenlose Schrecken schauend.

Allmählich wird mir die Sache doch ein wenig unheimlich um nicht zu sagen gehörig schauderhaft, und ich rufe dem Reiter vor mir mit hörbarer Betroffenheit in der Stimme zu: „Du meine Güte, was sind denn das für trostlose Gestalten?“

Er lässt sich Zeit für eine Antwort, ich habe mich schon mit seiner ruppigen Verschwiegenheit abgefunden, als er endlich tonlos brummt: „Das sind die Verdammten. Sie betrachten und fühlen all das Leid, das sie ihren Mitmenschen auf Erden zugefügt haben, ohne Unterlass und Hoffnung auf Erlösung in alle Ewigkeit.“

Was für ein unangenehmer Zeitgenosse, es macht ihm offenbar Spaß, einen Ortsunkundigen wie mich zum Besten zu halten und ihm Angst einzuflößen, was für ein aufgeblasener missmutiger Patron. Als hätte er meine Gedanken gehört, streckt er seinen dünnen Arm mit der Fackel in die Höhe, deren Leuchten für den kurzen Moment eines Blitzes hell erstrahlt und einen Blick auf die Halle zulässt, in der wir uns seit geraumer Zeit befinden. Ihre Wölbung ist gewaltig, sie ist riesig und viel größer als ich dachte, was mich aber durch und durch entsetzt, ist die Unzahl versteinerter Gestalten, die sich vor meinem geblendeten Auge auftut, in unüberschaubaren Reihen stehen sie dicht an dicht bis an die aufragenden Wände der Höhle, ein unzähliges Heer kahlköpfiger zu bewegungslosen Säulen erstarrter Verworfener, mit eng an den Leib gepressten Armen und ineinandergegossenen Beinen ragen sie aus dem schwarzen Grund und brennen noch als rotglühende Umrisse in meinen schreckensgeweiteten Augen, als der Schein der Fackel längst auf Normalgröße geschrumpft ist.

Ich bringe kein Sterbenswörtchen mehr über die seltsam taub gewordene Zunge, folge innerlich und äußerlich bebend dem Unhold vor mir und wage nicht nach links und rechts zu schauen, konzentriere mich auf das flackernde Feuer der Fackel und den steinigen Weg unter Infinis Hufen und hoffe nur, dass wir hier heil wieder rauskommen. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass die grauenhaften Gestalten allmählich zurückweichen, der Pfad sich erweitert und ihre Skulpturen schließlich ganz im Dunkel verschwunden sind. Trotz der fröstelnden Kühle, die mir unter Hemd und Haut gekrochen ist, schwitze ich aus allen Poren. Endlich zügelt der Kerl vor mir seinen Klepper und weist mit seiner freien Hand auf einen trüben Lichtschimmer, der in der Ferne vor uns in die Finsternis der Höhle zu dringen scheint, und wie es aussieht kommt der schwache Schein von draußen. „Immer darauf zu,“ raunzt der unliebsame Geselle gelangweilt, wirft seinen Gaul herum und ist im Nu von der Dunkelheit verschluckt.

Ich folge seiner Weisung widerspruchslos und entschlossen.

Auch Infini scheint seinen Schritt zu beschleunigen, magisch zieht es uns auf das hoffnungsvolle Schimmern zu, das wächst und größer wird mit jedem Hufschlag. Ebenso unerklärlich wie zuvor sind wir plötzlich im Freien, über uns das Zelt eines sternenklaren Himmels, rundum nichts als die schlafende Wüste, die um diese Jahreszeit einer Steppe gleicht, kein Loch, keine Pforte, keinen Schlund kein Garnichts im Rücken. Ich atme tief und in vollen Zügen die herrliche Nachtluft, Fanda hat sowieso alles verschlafen, da der Wicht nun mal von Sonnenlicht lebt, schnarcht er durch, aber an Infini drängt es mich ein paar Worte zu richten.

„Vielleicht sollten wir bei unseren Nachtritten nicht immer beide gleichzeitig schlafen, was meinst du?“

Kein Spiel der Ohren, kein Schütteln der Mähne, nur ein kurzes Schnauben bekomme ich als Antwort, das in etwa klingt nach: „Stell dir vor, keinen einzigen Grashalm hab ich gesehen, nicht einen einzigen.“

Wenn ich mal wiederkomme, so ich denn muss, werde ich Pferd, doch das werde ich.

Klar sagte ein Kumpel zu meinem Höllenritt, ich sei nichts als ein abergläubischer Trottel. Vermutlich hat sich der magere Kerl im Höhlenlabyrinth versteckt oder litt unter der rätselhaften Lichtkrankheit, die keine Sonnenstrahlen verträgt, auf alle Fälle sei ich durch eine große Tropfsteinhöhle geritten und sonst nichts. Was da von der Höhlendecke hing, konnte ich ob ihrer Höhe nicht sehen, aber was ich sah waren nichts als gewöhnliche Steinzapfen, und eine Fackel mittels Luftzug zum Aufflammen zu bringen sei wahrhaft keine Kunst, zumal wenn man ortskundig ist wie dieser Grottenolm. Ich und mein verträumtes Pferd hätten uns im Schlaf in ein Höhlensystem verirrt, den Übertritt zurück ins Freie hätte ich vor lauter Angst übersehen, und als mir der gestirnte Himmel endlich klar wurde, war der versteckte Ausgang hinter einem Hügel verschwunden oder hinter einem Felsen, er glaube nicht an so was wie eine Hölle. Vielleicht hat er ja recht, auf seine Weise bestimmt.

Für Infini jedenfalls besteht keinerlei Zweifel, ein Ort, an dem kein Grashalm wächst- das kann nur und muss die Hölle sein.

Das Seltsame daran ist, dass ich da unten etliche Kaiser und Könige zu erkennen glaubte, Eroberer und Feldherren, Berühmtheiten, die in den Geschichtsbüchern und Schulhäusern ahnungslosen Küken als große Vorbilder und Helden hingeklatscht werden. Ja überhaupt eine Unmenge bedeutender und geschichtsträchtiger Personen, sie schienen mir sehr viel zahlreicher als die sogenannten kleinen Leute, es wimmelte regelrecht von den sogenannten Großen der Weltgeschichte, darunter Päpste sowie Revolutionäre. Das hat mich einfach nur nachdenklich und stutzig gemacht, an einen Desperado zum Beispiel kann ich mich überhaupt nicht erinnern, nun gut, da gab’s ja nie einen „Bedeutenden“, wird schon sein Gutes haben.

Auf alle Fälle hatte diese Höhle nichts mit meinen Unterschlupfen und Verstecken zu tun, die ich bei meinen Ritten regelmäßig aufsuche. Denn da fühl’ ich mich sicher und geborgen und da gehör’ ich auch hin, auch wenn es nicht selten darin wimmelt von allerlei wildem Getier, aber in dieser gräulichen Grotte hatte ich ganz offenbar nichts verloren.

Jedenfalls noch nichts.


geschrieben Herbst 2011
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