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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 14.11.2017, 20:26   #1
männlich Erich Kykal
 
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Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Standard Schluckstube

Ein billig aufgemachtes Ecklokal,
fast schmucklos, nackt und ohne jede Seele
möbliert, bedenkenlos, ob etwas fehle -
es geht um Alkohol. Man hat die Wahl:

An Bier und Schnäpsen ist der Tresen reich
und lockt am Sein Gescheiterte und solche,
die es grad tun: Proleten, Schnorrer, Strolche -
die volle Flasche macht sie alle gleich!

Da wird im Zigarettenqualm gestritten,
gelästert, disputiert, auch Fäuste fliegen
zuweilen, denn der stumpfe Geist will siegen
und lässt im Rausche sich nicht lange bitten.

Man hat hier Meinung, ohne viel zu denken,
denn jeder will sich selber reden hören,
sich über jedes Ungemach empören,
das ihm geschah: Den lauten Trost sich schenken,

dass immer andre schuld sind am Versagen,
dem eigenen hier Auseinanderfallen.
Man sucht den Grund bei allem und bei allen -
nur bei sich selber nicht. Das sich Beklagen

gerinnt im Lauf der rauschgetönten Stunden
zu wehem Murmeln und verwaschnem Lallen,
und zwischen unbehängten Wänden hallen
die ewig unverheilten Daseinswunden.

In kaltem Neonlicht verlieren Leben
sich dort gemeinsam aus dem kranken Sinn,
und manche Seelen sterben auch darin
und atmen weiter, um das Glas zu heben ...
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.11.2017, 20:51   #2
männlich Laie
 
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Dabei seit: 04/2015
Ort: Oberpfalz
Alter: 33
Beiträge: 847

Hi eKy,

am Sein gescheitert. Das ist für mich die grundlegendste Aussage in deinem tollen Gedicht. Aber darf man das allen diesen Personen zum Vorwurf machen? Wenn ich Leute am Busbahnhof sehe, die über Ausländer, Polizei und Staat schimpfen und das hackedicht, und das wiederum schon früh am Tag, dann denke ich mir zumeist auch nur: "Solche Assis." Aber andererseits sollten sie mir leid tun. Wahrscheinlich sind doch viele nur das Produkt einer schwierigen und verkorksten Kindheit und/oder Jugend und haben das Sein nie richtig "gelernt".
Und in gewisser Weise sind doch viele Dichter auch am Sein Gescheiterte, oder nicht? Wenn auch leiser und schöner gescheitert, waren sie dennoch vom Leben überfordert.


Gruß,
Tiger
Laie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.11.2017, 21:15   #3
männlich Erich Kykal
 
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Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi Tiger!

Mein Gedicht sollte eine Zustandsbeschreibung sein, weiter nichts.

Mir geht es wie dir, wenn ich an sowas vorbeigehe: Bildungsfernes "Gesindel", wie man so leichthin sagt, aber letztlich am Leben und sich selbst Gescheiterte, die sich ihr Restleben schönsaufen, weil sie es nüchtern nicht mehr ertrügen.

Wie dämlich oder provokant ihre Grölereien auch immer sein mögen: Mir tun sie leid. Schade um die vergeudeten Möglichkeiten.

Bei Dichtern ist es anders: Ihr Scheitern ist "literarisch wertvoll"! Sie versagen nicht wegen Bildungsmangel, Dummheit oder fehlendem Ehrgeiz, sie scheitern an ihren eigenen zu hohen Ansprüchen oder Lebensuntauglichkeit aufgrund zu sensibler Feinsinnigkeit. Das ist ein Unterschied!

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.11.2017, 23:51   #4
männlich Gylon
 
Dabei seit: 07/2014
Beiträge: 4.269

Lieber Erich Kykal,
ein Text, den ich als Momentaufnahme verstehen möchte. Ich kann es vor meinen Augen in Öl gemalt sehen. Ich habe überlegt, ob es hier vielleicht sinnvoller wäre „die volle Flasche macht sie alle gleich!“ in „die leere Flasche macht sie alle gleich!“ zu ändern.

Liebe Grüße Gylon
Gylon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.11.2017, 23:56   #5
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032

Lieber eKy,

ich hatte es bereits an anderer Stelle kommentiert, aber auch hier möchte ich sagen:"Sehr gelungen!"

Lieben Gruß

Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2017, 00:16   #6
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.044

An deiner Wortkunst gibt es nichts zu meckern, Erich. Auch hast du etwas mitzuteilen - so weit, so gut.

Aber ...

Dein Gedicht, diesmal ungewöhnlich lang, ist im Rhythmus eines Sonetts geschrieben. Zumindest mir ging es so, dass ich die auflösenden Tripletten erwartete. Statt dessen hing ich an der Angel ...

Es ging also weiter. Am Ende angekommen hatte ich das Gefühl, nicht nur mit einem "sozialen Unfall" konfrontiert worden zu sein, sondern auch mit einem materiellen, bei dem der erlösende Knall ausblieb.

Jetzt weiß ich nicht, ob ich das Gedicht mit zu viel Gefühl und zu wenig Kopf gelesen habe, oder ob du es mit zu viel Kopf und zu wenig Gefühl geschrieben hast.

LG
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2017, 11:02   #7
männlich dr.Frankenstein
 
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Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.467

Manche Leute denken ernsthaft noch Bildung würde die Welt besser machen. Da reicht es ja schon dich und Heinz an einen Tisch zu setzen.
In Kneipen hört man auch sehr schöne Geschichten und war es nicht irgendwie Kästner oder so, der gesagt hat, geht lieber in die Kneipen als ins Museum um einen Ort kennenzulernen.
Mir scheint du warst noch nie in ner Kneipe, deine Beschreibung klingt eher nach Bushaltestelle oder Tankstelle.
Und im Grunde machst du ja das gleiche, nur auf Assis hetzen.
Saufen ist ein anerkanntes Rauschmittel. Dabei eins der 3 Gefährlichsten. Warum ist Heroin dann nicht legal, dann säßen die wenigstens still da, würden einen in ruhe lassen und wären glücklich.
Ich bin für kostenloses Heroin bei verkorksten Leben.

Aber ich weiß wer in wirklichkeit schuld ist, Gebildete Statuen ohne jeden Makel, wie die Judenpriester beim Jesusmärchen.

Wir leben eben in einer Teletubby Welt mit Teletubby bundeskanzlern, Teletubby Bildung, überall Teletubbys auf den Straßen.
Entweder man wird auch zum Teletubby oder man dreht durch.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2017, 14:27   #8
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.687

Der Kommentar von Frankie ist erste Sahne.

Zum Gedicht:
Es gibt eben zwei Seiten. Man kann auch Schönes in einer Kneipe erleben und nette Leute kennenlernen. Ich war zu einer bestimmten, nicht sehr schönen Zeit in meinem Leben, froh, die Möglichkeit zu haben, in eine Kneipe gehen zu können und nicht allein zu Hause zu sitzen und an meiner damaligen Trübsal ersticken zu müssen.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2017, 19:58   #9
männlich Erich Kykal
 
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Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi Gylon!

Das hängt davon ab, ob man die Sucht selbst ansprechen will (das Bild der vollen Flasche lockt sozusagen alle Trinker gleich) oder das Ergebnis der Sucht: Nach dem Leeren der Flasche hängen alle gleich in den Seilen ihrer Exixtenz.

Vielen Dank für das positive Feedback!


Hi Letreo!

Vielen Dank auch hier!


Hi Ilka!

Vermutlich Letzteres! Aber der umfassende Reim wird auch außerhalb von Sonetten umfassend genutzt. Er ist zwar Teil, aber nicht ausgemachtes Erkennungsmerkmal von Sonetten.
Dass du ständig Terzette erwartet hast, dafür kann ich nichts, und auch diese Schreibform nicht. Und dass dich das Ergebnis in der Schwebe ließ, halte ich durchaus nicht für einen Nachteil, eher für ein Zeichen von Ausgewogenheit zwischen Hirn und Herz.


Hi dr.Frankenstein!

Du hast meinen Text missverstanden. Es geht nicht um die typische Kneipe, sondern um jene neongrellen, lieblos eingerichteten Schluckstuben mit viel Kacheln und Plastik, die leichter zu reinigen sind. Reine Abfüllstationen für arbeitslose Alkoholiker.
Und ich habe nicht auf Assis gehetzt, sondern ich versuchte die Tristesse dieses Umfelds poetisch umzusetzen.

Und nur zu deiner Info: Ich habe jahrzehntelang zuviel gesoffen, und das meist an noch viel unpersönlicheren Orten: In den Festzelten hunderter Bikertreffen! Und glaub mir, da geht es heftiger zur Sache als in jeder Kneipe!
Ich kann also durchaus als eigener Erfahrung mitreden, auch wenn ich rechtzeitig die Alkbremse ziehen konnte und mich nie in diese billigen Schluckstuben begeben musste.

Saufen ist deshalb legal, weil der Genuss von Alkohol in unserer Kultur gesellschaftlich anerkannt ist und die Herstellung von Alkohol bei uns viele Arbeitsplätze sichert und eine Riesenlobby hat. Tradition hilft.
Heroin oder andere "Drogen" haben keine Kultur bei uns, keine Tradition, keine Lobby, sichern keine Arbeitsplätze, prägen keine Landschaften, schaden also nur der Effizienz des Systems. Leicht zu verdammen, leicht zu verbieten. Und das nicht grundlos.

Heinz und mich an einen Tisch zu setzen hätte nichts mit Bildung zu tun - eher mit Sadismus. Und wenn du wirklich so ein Genie bist, dass dir alle anderen wie Teletubbies vorkommen - warum hast du noch nichts verändert?


Hi Silbermöwe!

Über deine Ansicht zu Frankies Kommi sind wir geteilter Ansicht.

Zum Text: Nochmal: Eine gemütliche Kneipe ist eins, eine Schluckstube etwas ganz anderes. Vielleicht gibt es sowas bei euch nicht - oft auf kleinstem Raum errichtete, billige Abfüllstationen mit dem Flair von Schlachtereien: Neonlicht, Kunststofftheke, Plastiktische, Holzbänke, oft zur Stasse hin offen, damit der Qualm abziehen kann. Alles vom Billigsten, auch die angebotenen Produkte. Solche Kabuffs gibt es nur, damit die Alkis im Endstadium nicht die "normalen" Kneipen frequentieren und das dortige Publikum befremden. Dort können sie sitzen und saufen, bis sie kotzen, ohne rauszufliegen, und sie können dabei aussehen und riechen, wie sie wollen.
Das Geschäft mit dem Endstadium ...



LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.11.2017, 23:52   #10
männlich dr.Frankenstein
 
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Tach, he komm, du weißt ich bin nur ein gestörter Fan.
Solche Kneipen gibts? Find ich geil, es wird auch aus allem ein Geschäft gemacht.
Den Beitrag von Teletubbys hab ich so Teilweise von Andivalent, ein Poetryslamer.

Deine Frage nach der Veränderung kann ich eigentlich nur mit einer Gegenfrage beantworten.
Würdest von einem Außenstehenden der sich für was besseres hält, in deinem Leben rumpfuschen lassen.
Oder noch eine, wer gewinnt? Der Philosoph oder die Horde Nazis, im direkten Kampf. Ein Philosoph siegt mit Glück auf lange Sicht.
Siehe Marx, der war ein Assi und trotzdem wurde die halbe Welt später von seinem System unterjocht
aber eben auf Teletubby Art.
Etwas verändern zu wollen, außer bei sich selbst.(ich find das gut das du das so eingestehst, vielleicht hast desshalb auch so eine Art Tiefe.)
Auf lange Sicht gewinnen die Teletubbys immer, aber das ist auch gut und sie sind auch von unschätzbarem Wert für Wissenschaft und so weiter. Denn die schaffen die Mittel ran, das sich jemand ganz der Wissenschaft widmen kann oder dem Planen großer Bauwerke. Die die Teletubbys dann bauen.
Eigentlich sind sie die besseren Menschen, sie sind eine Einheit. Nur sie brauchen Leute die ihnen neue Wege öffnen. Was soll ich da öffnen? Es gibt doch schon Internet.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.11.2017, 19:15   #11
männlich Erich Kykal
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
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Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi dr.Frankenstein!

Ein interessantes Universum bewohnst du da!

Naja, jeder wie er's braucht ...

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.11.2017, 21:50   #12
männlich dr.Frankenstein
 
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Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.467

Ja. Alles easy hier. Ich lehn mich zurück und genieße.
Die Welt is schon geil, jetz kräht der Hahn schon wieder.
Im dunkeln im Stall, hat der Gestern schon gemacht.
Vertreibt der die bösen Geister?
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
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