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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 19.09.2013, 17:00   #1
männlich Denplae
 
Dabei seit: 09/2013
Beiträge: 2

Standard Tanz um dein Leben!

Tanz um dein Leben:

Ohne ein exaktes neues Ziel ging er den Weg aus der Sackgasse, in der er eine neue Abzweigung vermutet hatte. Seine Enttäuschung entsprach seiner Erwartung: sie war gering. Zurück auf der ihm nur allzu bekannten Hauptstraße zog er weiter und spürte die gewohnte, eiskalte Umklammerung die er Leben nannte. Er wusste es nicht besser. Ein Hauch von Geborgenheit versprechender Wärme streichelte flüchtig seine Wange und ließ ihn aufblicken. Ein Mann in einem dunkelbraunen Mantel schloss soeben hinter sich die Tür, aus der die Wärme zu strömen schien. Durch den beige farbenen Schal und den weißen Hut blieb der Großteil seines Gesichts verborgen. Die sichtbare, verbraucht wirkende Haut ließ ein seeliges Lächeln vermuten.

„Gib mir etwas von deinem Glück, Fremder!“, sprach er den vermummten Mann an.
„Das ist nicht so einfach, ich habe es selbst nur geliehen.“
„So sage mir doch wenigstens woher, alles in mir schreit danach!“
„Es verbirgt sich hinter dieser Tür, doch sei gewarnt, der trügerische Schein des....“

Der Rest der längst ignorierten Warnung ging im knarrenden Geräusch der Tür unter, durch die er hastig die Räumlichkeit betrat. Sie war schlicht gehalten und auf den ersten Blick nur spärlich beleuchtet. Doch trat man um die Ecke, fand man die strahlende Bühne.

Sie war die Quelle der Geborgenheit. Er betrat sie und begann augenblicklich zu tanzen. Der Tanz ließ alles, was er vorher Leben nannte, verblassen, verbot es regelrecht und schenkte ihm niemals derart intensiv gespürte Wärme. Er tanzte nie zuvor getanzte Schritte mit einer Sicherheit, die ihresgleichen suchte. Und doch fiel er im Laufe des Tanzes hin, lachte, sprang auf und tanzte weiter. Allein.

Am nächsten Tag suchte er ohne Umwege erneut die Bühne auf, die bedingungslose Seeligkeit versprach. Die Schmerzen der blauen Flecke, die er sich im alles abschirmenden Tanzrausch am Vortag zugezogen hatte, waren sofort vergessen, als er erneut die Bühne betrat. Der Tanz begann von vorn. Er tanzte dieses mal länger als zuvor und hörte erst auf, als jeder erdenkliche Leidensdruck der Welt an seinem lückenlosen, dunkelbraunen und rundum wärmenden Mantel abprallte. Er tanzte, als hätte es zuvor nichts gegeben außer ihn und die Bühne.

Er fing an, all sein Streben auf die Bühne auszurichten und alles, was sich außerhalb der Bühne abspielte, war nichts anderes mehr als der erneute Weg dort hin. Reiner Sachzwang. Er merkte in der Euphorie des Tanzes nicht, wie seine oberflächlich verheilten Wunden vom Tanztag zuvor aufsprungen und die Bühne mit Blut befleckten. Er lächelte. Allein.

Kurze Zeit später humpelte er wieder auf die halb offene Tür zu, aus der sich bereits die Wärme erahnen ließ, die er Leben nannte. Die er Zuhause nannte. Noch vier Schritte wären es gewesen, die zum Eintritt fehlten, als der vermummte Fremde ihm die Tür vor der Nase zuschlug, sich vor ihm aufbaute und zu sprechen begann:

„Du bist im Begriff, den verhängnisvollen Weg zu gehen, den auch Ich einst vor vielen Jahren einschlug.“. Er lockerte den Schal und gab den Blick auf seine aufgeplatzten Lippen frei, umgeben von Narbengewebe, das einst sein Gesicht war. Als er den Hut abnahm, konnte der junge Tanzanfänger erstmals seine Augen sehen: Sie glichen den Augen eines Toten. Ausdruckslos und leer.

„Wer hat dir das angetan?“, rief er erschrocken und wich einen Schritt zurück.

„Das war Ich selbst. Die Bühne entpuppte sich als messerscharfe Rasierklinge, der Tanz ist ein schmaler Grad zwischen dem, was du mal warst und dem, was nun vor dir steht. Meine Narben behalte ich auf ewig, die Rasierklinge ist mein wärmendes Zuhause und zugleich mein kalter, harter Kerker.“

Unsicher und getrieben zugleich schob er den entstellten Mann beiseite und betrat erneut den Raum, hastete zur Bühne und blieb kurz vor Ihr stehen. Er stand dort, allein, und fühlte seine Wunden so klar wie selten zuvor. Wie verlockend die heilende Bühne doch war! Und wie erschreckend zugleich das Wissen, dass er auf Rasierklingen nicht tanzen will. Er sammelte alles, was in ihm an Vernunft noch schlummerte, riss es an die Oberfläche und kehrte um. Vor der Tür suchte er vergeblich den Mann mit dem dunkelbraunen Mantel, der seinem erstaunlich ähnlich sah. Er streifte den Mantel ab und ging durch klirrende Kälte in Richtung eines noch unbekannten Ortes, von dem er sich erhoffte, ihn irgendwann Leben nennen zu dürfen.

Heute, viele Jahre später, lebt er mit einer Zufriedenheit, die ihn davor schützt, ohne exaktes Ziel umher zu irren. Die Tage, an denen er die Seitengassen der Hauptstraße durchkämmte, schien er hinter sich gelassen zu haben.

Und trotzdem, in einsamen Momenten, flüstert die Stimme längst vergangener Tage in sein Ohr:

„Du bist zufrieden. Mehr nicht. Tanz! Du kennst die Schritte. Du weisst, wie lange du tanzen darfst, ohne Schaden zu nehmen. Tanz mit mir, nur den einen Tanz, versprochen! Kehre kurz zurück zu mir und verlasse mich danach, als wärst du niemals da gewesen.“
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Stichworte
borderline, heroin, suchtverhalten



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