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Alt 25.02.2007, 21:45   #1
Smaointe
 
Dabei seit: 02/2007
Beiträge: 61


Standard Der Student und das Mädchen

Hey, ich habe doch eine Geschichte gefunden, die nicht gaaanz so lang ist! Die hier war in unserer Schülerzeitung, vielleicht erkennt sie ja jemand Ich stand damals ziemlich unter Zeitdruck, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem ... (Der Titel ist eine Anspielung auf "Der Tod und das Mädchen", falls es jemand kennt.)

DER STUDENT UND DAS MÄDCHEN

„Was machst du, wenn es dunkel wird?“
Der junge Student blieb stehen. Das kleine Mädchen vor ihm auf dem Gehweg schaute mit treuherzigen blauen Augen zu ihm auf.
„Wie bitte?“, fragte der Student.
„Was machst du, wenn es dunkel wird?“, wiederholte das Mädchen.
Fröstelnd trat sie von einem Bein auf das andere. Über ihrem kurzen Kleid trug sie nur eine Windjacke. Ihre Stiefel waren ihr zwei Nummern zu groß. Ein scharfer Wind fegte in taumelnden Böen die gewundene Straße hinauf.
„Wozu brauchst du das?“, fragte der Student und beugte sich zu ihr hinunter.
„Ich muss einen Aufsatz schreiben“, sagte das Mädchen. Ihre Lippen waren ganz blau gefroren. „Hilfst du mir?“
Der Student lächelte. „Klar.“
Das Mädchen strahlte. „Und? Was machst du, wenn es dunkel wird?“
Der Student richtete sich wieder auf und grinste von oben auf sie herab. „Ich fange Mondlicht“, sagte er geheimnisvoll.
Das Mädchen staunte. „Du ... du willst mich doch reinlegen“, sagte sie unsicher.
„Nein, nein!“ Der Student schüttelte den Kopf. „Ich bin doch an der großen Akademie! Jeden Abend steige ich hinauf und fange mit meinen Spiegelwerkzeugen Mondlicht für Experimente. – Na gut, fast jeden Abend.“
Die Augen des Mädchens fingen an zu leuchten. „Und wie machst du das?“
Der Student hob den Kopf und sah sich um. „Es ist kalt“, sagte er, „Darf ich dich zu einer Heißen Zitrone einladen?“
Das Mädchen wich einen Schritt zurück. „Nein.“
„Wieso nicht?“, fragte der Student irritiert.
„Das erlauben meine Eltern nicht“, sagte das Mädchen.
„Und warum nicht?“, fragte der Student. Als das Mädchen nicht antwortete, sagte er: „Es ist gleich dahinten. Du kannst es schon sehen.“
Er zeigte es ihr. Das Mädchen nickte. „Jaaa“, sagte sie zögernd, „Na gut.“
Der Student lächelte, nahm ihre kleine, kalte Hand in seine une schob sie in seine Manteltasche. „Dort wird dir wärmer.“
Zusammen gingen sie über die Straße. Auf dem gegenüberliegenden Gehweg war ein Hund an einen Laternenpfahl angebunden und bellte, als sie auf ihn zukamen. Das Mädchen streichelte seinen Kopf. „Na, du? Du frierst bestimmt auch.“
Der Student reckte den Kopf nach dem kleinen Kiosk. „Komm“, sagte er, „Wir haben Glück, es ist fast noch niemand da.“
Das Mädchen kam angehüpft und sie gingen zusammen weiter. Ein paar Meter von dem Kiosk entfernt blieb sie stehen.
„Was ist denn?“, fragte der Student.
Das Mädchen antwortete nicht.
Der Student nahm wieder ihre Hand und trat an die Theke. Verstohlen lächelnd schaute er zu seiner kleinen Begleiterin hinunter, die kaum über den unteren Rand der Glasscheibe hinausragte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen.
„Einen Kaffee und eine Heiße Zitrone“, sagte er zu der Verkäuferin. Sie kannte ihn bereits.
„Du bringst ja jeden Tag neue Leute mit“, meinte sie, „Wo hast du die denn her? Auf der Straße aufgelesen?“
Der Student grinste das Mädchen an und blinzelte ihr zu. „Ich würde eher sagen, sie hat mich auf-gelesen.“
Die Verkäuferin schüttelte spöttisch den Kopf und verschwand in den hinteren Teil des Kiosks.
Vor der Theke standen einige hohe, runde Tische mit einfachen Plastikhockern. Zwei waren besetzt. Der Student führte das Mädchen zu einem dritten und half ihr auf den Sitz. Er selbst ließ sich ihr gegenüber nieder.
Das kleine Mädchen zog die Hände in die Ärmel ihrer Jacke zurück. Sie fühlte sich unwohl, unbeholfen und deplatziert. Der Student spielte mit dem Zuckerstreuer.
„Wie ist das?“
„Wie ist was?“, fragte der Student verwundert und hob den Kopf.
„Das mit dem Licht. Mit dem Mondlicht.“
„Achso.“
Der Student richtete sich auf. Die Verkäuferin kam mit ihren Tassen und stellte sie auf dem Tisch ab. Als der Student sie ansah, verdrehte sie die Augen. Er zuckte mit den Schultern und schob dem Mädchen die Heiße Zitrone hin. „Da. Das ist deins.“
Das Mädchen senkte den Kopf. „Ich hab aber gar kein Geld mit“, murmelte sie.
„Egal“, meinte der Student, „Ich bezahle für dich. Ich habe dich eingeladen.“
Zögernd schloss das Mädchen eine kleine Hand um den Griff der Tasse und zog sie zu sich heran. Vorsichtig nahm sie ein paar Schlucke. Ihre Wangen bekamen wieder etwas Farbe.
Der Student hatte schon seine halbe Tasse ausgetrunken und ließ jetzt seine Finger auf ihrem Rand entlang tanzen.
„Das Mondlicht“, sagte das Mädchen.
„Das Mondlicht“, wiederholte er, „Meistens gehe ich einige Stunden vor Mitternacht hinauf. Vielleicht kennst du die Akademie. Sie hat oben drauf eine große Kuppel. Auf der Kuppel ist ein kleiner Raum, mein Arbeitszimmer. Eine Art Observatorium, falls du weißt, was das ist.“ Er warf einen kurzen Blick zu dem Mädchen. Sie unterbrach ihn nicht, hörte ihm aber still zu. Er fuhr fort. „Es gibt sehr viele wichtige Werkzeuge. Natürlich braucht man keine Lampe, ich habe zusätzlich spezielle Fensterscheiben, die das Licht filtern. Aber wenn ich es sammeln will, muss ich das im Freien tun.“ Der Student holte tief Luft. „Ich benutze eine Art Fernrohr dazu. Es hat acht starke Linsen aus Filterglas, die auf der Rückseite aus Spiegeln bestehen. So kann das Licht hinein, aber nicht hinaus. Wie in einer Reuse, mit der man Fische fängt. Jede Linse hat eine andere Bedeutung. Die erste dient dazu, soviel Licht wie möglich im Rohr zu bündeln. Deswegen ist sie sehr groß. Die zweite ist kleiner, sie ist mit Goldstaub überpudert, der die restliche Dunkelheit wieder zurück in die Nacht katapultiert. Jetzt haben wir reines, weißes Mondlicht. Mit der dritten Linse, die sich gleich hinter der zweiten befindet, wir die Leuchtkraft des Lichtes verstärkt, bei ihr ist auch die Vorderseite zum Teil verspiegelt. Die vierte und die fünfte Linse dienen einem ganz ähnlichen Zweck wie die erste, sie bündeln das Licht wieder und wieder, nur hat man ihren Bau geringfügig abgewandelt; die eine bremst, die andere ebnet. So kann der Lichtstrahl genau durch den Mittelpunkt der sechsten, siebten und achten Linse fließen, von denen die beiden ersten ihm mit einem zugeführten Luftstrom und Durchwirbelungen eine Substanz geben. Die achte besitzt ein Loch, durch dass diese Substanz austreten kann und sie ist blind, damit das Licht an ihr nicht seine Leuchtkraft verliert und sie womöglich im Rohr zurücklässt.“
Er nahm einen Schluck Kaffee. Das hatte er sich verdient.
„Und ... dann fängst du es auf?“, fragte das Mädchen zaghaft.
Der Student nickte. „Es gibt spezielle Gefäße in der Akademie“, sagte er, „Innen verspiegelt. Außen steht Mg drauf. Das heißt ... Mondlicht ... gewicht. Mondlichtgewichte, ja. Mondlicht wiegt nämlich genau 0 Gramm. Es hat keinen Auftrieb, nichts. Es ist bloß formgewordenes Licht.“
„Wofür benutzt ihr es denn?“ Das Mädchen beugte sich neugierig weiter vor. Die Kälte war vergessen.
„Ja ...“, der Student strich sich nachdenklich über das Kinn. „Eigentlich benutzen wir es nur für geheime Experimente. Das wird nicht so an die große Glocke gehängt.“
„Sieht es schön aus?“
„Wie bitte?“
„Wie es aussieht.“
„Was? Das geheime Experiment?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Das Licht. Es muss doch irgendwie zu sehen sein.“
„Ach, ja, natürlich!“ Der Student machte eine sehr bedeutungsschwere Geste. „Wundervoll! So ... weiß ... und ... es leuchtet, es ist ja schließlich Licht!“
„Kann man diese Experimenten nicht auch mit ganz normalem Licht machen?“, fragte das Mädchen interessiert.
„Nein.“ Der Student bestellte sich einen zweiten Kaffee. Dann beugte er sich über die Tischplatte und winkte das Mädchen zu sich heran. „Mondlicht“, flüsterte er, „Hat eine ganz besondere Eigenschaft. Es kann Dinge in die Luft heben.“
Das Mädchen runzelte die Stirn. Dann lehnte sie sich langsam zurück. Ihr Blick sprach Bände und der Student verfluchte sich, dass er so weit gegangen war. Rasch sah er sich zu der Verkäuferin um, die sich gerade lachend mit einer Gruppe Neuankömmlingen unterhielt. Es waren Studenten, wie er.
„Das heißt, die Dinge fliegen?“, fragte das Mädchen skeptisch.
Der Student seufzte schwer. „Wie gesagt, es ist – geheim. Ich glaube nicht, dass du das in deinem Aufsatz schr-“
„Vielen Dank für die Heiße Zitrone“, sagte das Mädchen und rutschte von ihrem Sitz. Wenige Augenblicke später war sie in dem verschwommenen Grau der Herbstdämmerung verschwunden.
Ein Freund des Studenten kam mit zwei Tassen Kaffee an den Tisch und setzte sich zu ihm. „Du befindest dich anscheinend wieder in zweifelhafter Gesellschaft, hat mir unsere hübsche Freundin dort am Tresen erzählt“, sagte er scherzhaft, „Was willst du denn mit kleinen Mädchen?“
„Weiß ich nicht“, sagte der Student und fing wieder an, mit dem Zuckerstreuer zu spielen. „Ich habe ihr ein paar Geschichten erzählt. Die üblichen.“
„Wie die vom Waldkauz? Der Blödsinn über die Magnesium-Gewichte?“
„So ähnlich.“
Sein Freund lachte. „Du bist schon komisch. Hoffentlich ist sie nicht so dumm und fällt darauf herein.“
„Sie will einen Aufsatz darüber schreiben“, sagte der Student und grinste. Er sah sich um und zwinkerte der Verkäuferin zu. Dann stellte er den Zuckerstreuer auf den Tisch zurück.
Smaointe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2007, 17:53   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo Smaointe,

das ist mal ein Text, für den ich keine Verbesserungsvorschläge zu bieten habe. Gefällt mir außerordentlich!
Die ganze Zeit schwingt ein ungutes Gefühl mit, das man bis zum Ende nicht los wird. "Wann passiert das Schlimme?", fragt man sich ständig. Und am Ende war es doch nur ein exentrischer Student, der kleinen Kindern gerne Märchen erzählt.
Ach, ich bin begeistert.

Struppige Grüße
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.02.2007, 18:46   #3
Smaointe
 
Dabei seit: 02/2007
Beiträge: 61


Danke ) Da bin ich ja froh ...
Smaointe ist offline   Mit Zitat antworten
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