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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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26.05.2023, 23:31 | #1 |
Zwischenfragen
Könnt ich einmal rückwärts drehen
meines Lebens Rad, wann wohl bliebe es dann stehen und an welchem Pfad? Wollte ich ihn neu betreten? Ließ ich mich drauf ein? Fände ich beim Unkrautjäten jetzt den Stolperstein? Würde ich mich fleißig zeigen, Violine lernen? Allen meine Meinung geigen, greifen nach den Sternen? Meine Heimatstadt verlassen, ziehen in die Welt? Dieses lieben, jenes hassen, wie es mir gefällt? Pflegt' ich andre Interessen, wär von andrem Sinn? Würde ich vielleicht vergessen, wer ich wirklich bin? Hörte keine Schubertlieder, tränke keinen Wein? Hätte keinen Duft der Flieder, Mondlicht keinen Schein? Hab ich alle Möglichkeiten wirklich ausgenutzt? Oder schon zu Kindeszeiten selbst mein Nest beschmutzt? War ich immer recht bei Sinnen? Tat ich, was ich sollte? Dürft ich wirklich neu beginnen: Wärs das, was ich wollte? |
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30.05.2023, 18:24 | #2 |
Ein Gedicht über die grosse Frage, die wir uns alle schon öfters gestellt haben: Wenn man so viele unterschiedliche Leben leben kann, hat man dann das richtige gewählt? Haben wir überhaupt gewählt? Hätten wir durch Ehrgeiz und Streben ein anderen Weg im Leben einschlagen können? Und dann stellt sich noch die Frage, wer man denn wäre, wenn man nicht man selbst wäre. Diese Frage stellt sich meistens dann auch noch, ohne wirklich zu wissen oder zumindest definieren zu können, wer man ist. Naja, es ist alles ein menschliches Mysterium . Komplimente für ein originelles und melodisches Gedicht!
LG, Avocado |
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30.05.2023, 19:21 | #3 |
Danke für die schönen Komplimente, Avocado...
Gruß Cornelius |
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30.05.2023, 21:10 | #4 |
Forumsleitung
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Das sind die ambivalenten Fragen, die sich vielleicht jeder von uns einmal stellt. Viel interessanter als die Fragen erweisen sich die Antworten. Die sind nämlich erst recht ambivalent. Wobei davon auszugehen ist, dass es sich wie in dem Gedicht um eine gutbürgerliche, gesicherte Existenz mit Wahlmöglichkeiten handelt.
Die Antworten, die ich kenne, lauten ungefähr so: "Eigentlich habe ich alles richtig gemacht, aber es war doch nicht ganz das, was ich gewollt hatte ..." "Wenn mich meine Eltern gelassen hätten, wäre ich einen ganz anderen Weg gegangen, aber heute weiß ich, dass sie recht hatten." "Ich hatte Ideale und gehofft, für sie leben zu können, aber dann lief alles in eine andere Richtung." "Alles lief gut und wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber dann starb meine Mutter, mein Vater wurde arbeitslos, sein Geschäft ging ein, und ich konnte mir mein Studium nicht mehr leisten. Also fuhr ich Taxi." "Ich dachte, das Richtige zu studieren, und es machte mir auch Spaß, aber als das Examen näherrückte, bracht ich ab. Ich hatte keine Idee, was ich mit diesem Abschluss hätte anfangen können, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, geschweige denn, eine Familie zu gründen." An diesen Beispielen wird klar, was das Gedicht beschreibt: Luxusprobleme. In unseren mittlerweile unterirdisch anspruchslosen Zeiten kann jeder mit einem unterdurchschnittlichen IQ sein Examen bestehen und darauf seine Karriere aufbauen. Aber statt diese Chance wahrzunehmen, wird nicht studiert, sondern diskutiert. Und oft besteht die letzte Ambivalenz darin: "Schreibe ich ehrlich, was ich denke? Oder schreibe ich das, was mein Prof lesen will, damit ich die Prüfung bestehe?" Darauf war ich bereits konditioniert worden, als ich zur Prüfung in Marburg zugelassen worden war: "Bereite dich auf das vor, was sie hören wollen." Wer wüsste also nicht, was zu schreiben und vorzutragen wäre? Anpassung ist der Schlüssel zum Erfolg. |
30.05.2023, 22:12 | #5 |
abgemeldet
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Sehr schön!
Fragen - die neue Fragen aufwerfen. |
30.05.2023, 23:38 | #6 |
Danke erstmal für die Kommentare...
Liebe Ilka-Maria, im Prinzip muss ich dir zustimmen. Auf viele Existenzen dürften deine Anmerkungen wohl zutreffen. Möchte aber zu bedenken geben: Die Wahl zwischen verschiedenen Optionen - in diesem Falle: verschiedenen Lebensentwürfen - zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, auch wirklich frei entscheiden zu können. Nämlich dann nicht, wenn man sich selbst im Wege steht und trotz der Erkenntnis, dass es so ist, nicht über seinen eigenen Schatten springen kann. Das würde ich nicht als "Luxusproblem" bezeichnen wollen... |
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31.05.2023, 07:48 | #7 | ||
Zitat:
Die Probleme im Gedicht finde ich eigentlich nur mäßig interessant. Nicht, weil ich sie für Luxusprobleme halte. Sondern weil man sehr oft die Wahl gar nicht hat. Zitat:
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31.05.2023, 11:03 | #8 |
Forumsleitung
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Damit kann man reinfallen. Habe ich selbst erlebt, allerdings in einer mündlichen Prüfung. Es ging um Ausländer allgemein und insbesondere um Gastarbeiter. Ich dachte, nachdem ich mich über die politische Haltung von Stadt und Bildungseinrichtungen informiert hatte, liberal Stellung beziehen zu müssen und bekam von den Prüfern unisono ordentlich mein Fett weg. Die waren auf Ausländer überhaupt nicht gut zu sprechen gewesen und äußerten sich dermaßen abfällig darüber, wie ich es mich selbst in konservativen Kreisen nicht getraut hätte.
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