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25.09.2016, 20:23 | #1 |
Dabei seit: 04/2010
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prosa
Ich hatte am 12.9., um viertel vor neun, meine erste schulwegs-etappe angetreten, nahm nicht den etwas längeren radweg, sondern, um rechtzeitig am bahnhof zu sein, die sonnige landstraße. gleich hinter abterode: ein schepperndes geräusch an meiner linken kopfseite und ein enormer schlag gegen die linke schulter machten mir klar, dass eine höhere macht meine bedenklichen pläne für die herbstferien einäscherte.
ich fand mich bäuchlings auf der erde wieder, kopf und oberkörper auf der fahrbahn, den restlichen körper auf dem grasstreifen und versuchte zu klären, was nun irdischerseits passiert war. ein weißer kleinlaster entfernte sich, er musste von hinten gekommen sein und mich gerammt haben. Ich winkte verloren mit dem rechten arm und rief laut ... er bremste, hielt an. der fahrer, vollschlank und in zu enge weiße Jeans gequetscht (ich dachte an eine bayerische weißwurst) kam ein stück auf mich zu und rief: "ich habe Sie nicht gesehen." Er blieb auf distanz, als scheue er sich, das Resultat der Fehlleistung genauer in Augenschein zu nehmen. Ein paar pkws hatten inzwischen gehalten, der lkw-fahrer wiederholte sogleich die beteuerung, und als man ihn fragte, ob er noch geschlafen habe, wehrte er sich mit einem, „nein, das nicht.“ denen, die mich umstanden, sagte ich, sie sollten den krankenwagen rufen, es sei etwas kaputt, ich könne nicht aufstehen. ein dumpfer schmerz im lendenbereich ließ mich an einen wirbelbruch denken. ich versuchte, unnötige bewegungen zu vermeiden, antrengungen, mich aufzurichten mit scharfen worten abzuwehren. zum glück waren die beine noch beweglich und nicht taub. Außerdem tat mir der linke arm mehr und mehr weh, und es knirschte in ihm. eine frau beugte sich mehrfach zu mir herab, schaute mir besorgt ins gesicht. ich bat sie, bei der postbank göttingen meinen ältesten sohn zu benachrichtigen und mich in der schule zu entschuldigen. jemand bedeckte mich mit einer decke, obwohl es ein warmer spätsommermorgen war, und so ging später im dorf, wie ich erfuhr, die von vorbeifahrenden überbrachte nachricht um, ich sei gestorben… nach etwa 15 minuten kam der krankenwagen und kurz darauf die polizei. noch an der unfallstelle stellte man mir viele fragen, schnitt pulli und t-shirt auf, hörte die lunge ab und schob mich dann, den knappen befehlen des notarztes folgend, erschütterungsfrei in den krankenwagen. Ein leichtes, gleichmäßiges vibrieren bei der fahrt, dazu der ton des martinshorns: ich hatte so etwas noch nie mitgemacht und genoss das besondere und irgendwie komische der situation. am kreiskrankenhaus rollten sie mich in die notaufnahme. ich starrte reglos an die zimmerdecke, hörte den rapport des notarztes und vernahm, dass ich ein multitrauma bin, dessen messwerte im bereich gesunder menschen lägen. im röntgenraum klagte jemand, die multitraumen machten schrecklich viel arbeit, weil massen an papier ausgefüllt werden müssten. zwei röntgenassistentinnen zogen mir die jeans aus. dann zerrten sie gemeinsam an einem laken unter mir, so dass ich seitlich auf den röntgentisch rutschte. ich fragte nach dem hodenschutz und erhielt eine staußeneiförmige bleitasche. nach einigen aufnahmen war man zufrieden. nur im linken arm war einiges zu bruch gegangen. ich atmete auf. hier und nun hier musste der lkw, wohl mit der seitlich überstehenden weißen ladekiste, getroffen haben. mein ellbogen war um 50 km/h beschleunigt worden. ein ausländer im grünen kittel sagte, man werde mich operieren und er sei der narkosearzt. wann ich gefrühstückt hätte? dann müsste ich 5 stunden warten, erst dann sei ich nüchtern. mein sohn war aus göttingen gekommen, hatte sich durchgefragt. breitschultrig und im dunklen sakko, unter der modernen glatze ein betroffenes und liebes gesicht. kopfschüttelnd sah er mich an, fragte, was ich brauche. er fragte nicht, wie es passiert war. er wusste es längst. zeigte mir sein handy: nicht ich war zu sehen, aber der lkw und der krankenwagen, mein fahrrad und mein rucksack… die werra-rundschau hatte alles ins internet gestellt, mich mit 61 Jahren zwei jahre jünger gemacht, und als „schwerverletzt“ deklariert... |
25.09.2016, 21:37 | #2 |
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Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
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Beiträge: 5.474
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Ha ha, kommt gut. Und wie geht's dem Arm?
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25.09.2016, 21:44 | #3 |
abgemeldet
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Erinnert mich an die ganzen newsmixe bei Experimente.
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25.09.2016, 22:13 | #4 | |
abgemeldet
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Lieber gummibaum,
mal abgesehen davon, dass das mit deinem Ellenbogen echt sch....limm ist, habe ich deinen Prosatext sehr gern gelesen! Du hast den Unfall und das darauf Folgende so lebendig und unterhaltsam geschildert und obwohl du verletzt bist, alles so humorvoll resümmiert, wobei Beobachtungen wie diese: Zitat:
Liebe Grüße und baldige Genesung wünscht dir Lucy |
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26.09.2016, 17:00 | #5 |
gummibaums Kleinschreibung ist seinem verletzten Arm geschuldet - dafür entschuldigte er sich schon irgendwo
Tssss ....lieber gummibaum, hättest du doch lieber den Radweg genommen, dafür ist er da... mal ehrlich, auf der Landstraße fährt man mit dem Fahhrad auch nicht. Trotz allem eine fast komödiantische Geschichte, das ist Unterhaltung pur. Gute Besserung un nimm nächstes Mal den Radweg |
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26.09.2016, 17:39 | #6 |
abgemeldet
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26.09.2016, 19:27 | #7 |
Dabei seit: 04/2010
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danke an alle, besonders an Lucyinthesky und DieSilbermöwe. bin wieder zu hause.
lg g |
26.09.2016, 19:33 | #8 |
Das freut mich!
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27.09.2016, 05:22 | #9 |
R.I.P.
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Und mich auch!
Ich fand an dem Bericht nichts Humorvolles. im Gegenteil- BLG von Thing |
27.09.2016, 08:57 | #10 |
Dabei seit: 04/2010
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danke, thing. so früh schon am computer! ich gehe die treppe im haus wie eine leiter rückwärts hinunter.
lg g |
27.09.2016, 09:23 | #11 |
R.I.P.
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Kann ich mir vorstellen! Du kannst Dich ja nur mit der andern Hand am Geländer festhalten.
Du bekommst noch Übung - allemal! Aufmunternden Gruß von Thing |
27.09.2016, 17:10 | #12 |
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„hätte ich nur den radweg genommen", sagte ich in gedanken "dann läge ich nicht hier.“ „ja, hättest du, papa…wir haben dich ja gewarnt.“ er wirkte traurig. in den letzten jahren war er manchmal nicht weit vom unfallort an mir vorbeifahren und hatte mir einen gruß zugehupt, auch mehr als einmal gesagt, dass er den moment fürchte, wo er mich übersehe. als er ging, bat ich ihn, vorsichtig zu fahren.
jetzt wurde mir blut abgenommen und die fragenliste präsentiert: vorerkrankungen? „nein“, medikamentenallergien? „nein“, zahnprothese? „nein“, frühere operationen? „ja... 2009, der andere arm.“ ich kritzelte meine unterschrift, dass der chefarzt die op abrechnen dürfe. der chefarzt stellte sich vor. es war nicht mehr der gleiche strahlemann von 2009. damals hatten sie eine hundebisswunde ausgespült und eine blutvergiftung verursacht. der neue professor, eher unscheinbar, informierte mich, heute würde er vorerst nur vier schrauben zur fixierung in den arm drehen. später musste ich auf den op-tisch herüberrutschen und unter einer lampe warten. ich schloss kurz die augen, und als ich sie gleich danach wieder öffnete, war die lampe weg. der tisch wirkte weicher, eine wanduhr zeigte schon halb vier. eine krankenschwester regulierte die tropfgeschwindidkeit einer infusion und ließ mich wissen, sie bringe mich auf die station. zwar sei die 7, unfall, wo ich hingehöre, voll, doch auf der 2, auf neuro, gäbe es ein 2-bett-zimmer... „und die op?“, wollte ich wissen. ich war verärgert. sie lachte. „schon vorbei,“, sagte sie und begann mich zu schieben. ungläubig betrachtete den verletzten arm, aus dem vier untereinander verbundene metallstäbe ragten. es wirkte wie ein baugerüst. im hintergrund eine mädchenstimme: „ist mein blinddarm noch drin?“ Geändert von gummibaum (27.09.2016 um 19:25 Uhr) |
27.09.2016, 17:20 | #13 |
R.I.P.
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Ich warte auf die Fortsetzung!
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27.09.2016, 19:41 | #14 |
Wer ist denn dieser ominöse "er", von dem am Anfang die Rede ist (der traurig wirkte)?
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27.09.2016, 19:50 | #15 |
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vielleicht gehts ja weiter, thing.
noch immer mein sohn, DieSilbermöwe. lg g |
28.09.2016, 06:48 | #16 |
Lieber gummibaum,
ich könnte schwören, dass da gestern im Text noch nicht "papa" gestanden hat - mich hat der Satz irritiert, dass er immer Angst gehabt hätte, dich zu übersehen und ich dachte zunächst, der LKW-Fahrer hätte dich besucht, allerdings passte dann das "du" nicht (und warum hätte der LKW-Fahrer dir vorher irgendwanneinen Gruß zuhupen sollen)- mit dem einen kleinen Wort "papa" im Text wird alles viel verständlicher. Vermutlich habe ich das Wort aber wegen der Kleinschreibung überlesen, ich hätte aufmerksamer lesen sollen Ich bin ebenfalls auf eine Fortsetzung gespannt. |
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28.09.2016, 16:18 | #17 |
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hallo, DieSilbermöwe,
"papa" hatte ich nachträglich eingefügt. Andere Schreibfehler konnte ich nicht mehr korrigieren. lg g |
28.09.2016, 16:18 | #18 |
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das 2-bett-zimmer hatte ich zunächst für mich allein. es lag am ende eines mehrfach abbiegenden ganges. nachdem die bettbremse eingerastet war, verschwand die schwester, die zimmertür schloss sich. nach einer weile fand ich die fernbedienung, richtete das kopfteil des bettes ein wenig auf. die infusionsflasche war schon fast leer, auf dem nachttisch lag ein tablettenschächtelchen, das wohl etwas gegen schmerzen enthielt. gesagt hatte mir niemand etwas. der arm mit den schrauben lag still und metallisch neben mir. zwei silbern glänzende stifte verschwanden im ober- und zwei im unterarm, die eintrittsstellen waren von weißen mulltupfern bedeckt. vier goldene kleine schraubmuffen, je eine pro stift, hielten die zwei grauen querstäbe, welche die beiden armteile im winkel von 30° fixierten. ich befühlte sie interessiert mit der rechten hand. es schien eine sehr harte legierung zu sein.
der arm tat nur leicht weh. wahrscheinlich wirkte die narkose noch nach. die infusionsflasche war leer. das fester zeigte einen roten abendhimmel, und ich musste auf die toilette. ich klingelte und wartete. nach einer viertelstunde wurde ich unruhig. war die station verlassen? war ich allein hier? nach einer halben stunde ging die tür auf. ein mir bekanntes gesicht erschien. es war die mütterliche krankenschwester, die mich 2009 betreut hatte, die einzige, auf die ich hier damals zählen konnte und der ich gesagt hatte, dass ich vereisen würde, auch wenn die bisswunde noch immer halb offen war. heute aber kam sie ohne kittel, kam privat, begleitete einen jungen mann ins zimmer und führte ihn zu dem noch freien bett. sie erkannte mich sofort und freute sich. dann stellte sie mir den großen jungen als ihren sohn vor, und ich bat sie, für mich nach einer pinkelflasche ausschau zu halten. wenig später erschien sie mit einem pfleger, der mir endlich die „ente“ unter die bettdecke schob. ich hatte keine übung mit flaschen dieser art, aber das bett, aller sorge zum trotz, blieb trocken. mein bettnachbar war, wie er sogleich erzählte, noch schüler und plötzlich ohnmächtig geworden. seiner freundin war der starre blick aufgefallen, sie saß im auto neben ihm und schrie ihn an, aber er hörte es schon nicht mehr und fuhr gegen die leitplanke. nun ging es um mögliche epilepsie. es klopfte an der tür, und die langjährige freundin meines sohnes, blonde lange haare, brachte mir die von ihm gepackten jutebeutel mit unterhosen, t-shirts und zahnbürste. ich raffte mich auf, setzte mich schließlich sogar an den tisch. sie betrachtete mein gestell am arm, den „fixateur externe“, mit respektvoll gerunzelter stirn. nach einer weile erzählte sie, sie habe ihre mutter angerufen, die hier schon gearbeitet hätte. diese hätte, obwohl im urlaub, „oh nein!“ gerufen, als sie erfuhr, wo ich nun lag und tipps gegeben. sie sprach weiter, wohin ich mich verlegen lassen sollte, aber ich war schon abwesend. bat sie plötzlich, da ich ja kein handy besitze, mir auf ihrem eine nummer zu wählen. „001…“ sie gab es mir ans ohr. es brauchte eine zeit, bis überhaupt erst das freizeichen kam, und dann hörte ich hühner, hupen und laute stimmen. „soy yo“, sagte ich (ich bin’s) und ein freudiges „hola mi amor, cómo está?“ (wie geht`s) floss in mein ohr. Ich hatte dorthin noch vor 18 stunden gemailt: „ich werde alles persönlich in der klinik bezahlen. aber es wäre viel preiswerter, mit dir zu schlafen.“ - „sehr schlecht“ sagte ich nun. „ich bin im krankenhaus und kann im oktober gar nicht kommen!“ ein lang gezogenes, bestürztes „oohhh“ erscholl, und ich gab das handy eilig zurück. „Drück auf aus!“, rief ich, „es wird sonst zu teuer.“ Geändert von gummibaum (28.09.2016 um 19:09 Uhr) |
28.09.2016, 16:33 | #19 |
R.I.P.
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Schnell die Fortsetzung!
Du hast (mir) ja sooo Appetit gemacht! Tippst Du schon selbst? |
28.09.2016, 18:43 | #20 |
Hallo gummibaum,
du machst es spannend! Wer mag die geheimnisvolle Spanierin sein? Und was mich noch mehr interessiert: Warum alles in der Klinik persönlich bezahlen (privat?) Oder geht es - da die Mail ja 18 Stunden vorher war - um was ganz anderes! Ist der Satz "es wäre preiswerter, mit dir zu schlafen?" ein Kompliment? Fragen über Fragen .... Aber ich habe Geduld, auf die Fortsetzung ein wenig zu warten, du sollst dich mit dem Schreiben jetzt nicht überanstrengen. |
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28.09.2016, 19:06 | #21 |
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danke, ihr beiden. ich muss morgen zur arm-kontolle nach göttingen und weiß nicht, ob ich zum schreiben komme.
alles liebe gummibaum |
28.09.2016, 19:22 | #22 |
Lass dir ruhig Zeit, du sollst dich nicht überanstrengen.
Ich drück dir die Daumen, dass morgen bei der Kontrolle alles in Ordnung ist (also mit dem Heilungsprozess). |
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29.09.2016, 18:13 | #23 |
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danke, silbermöwe, aber es hat nicht viel genützt.
lg g |
29.09.2016, 18:54 | #24 |
Oje, das hört sich nicht gut an ....was haben die Ärzte denn gesagt?
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29.09.2016, 20:21 | #25 |
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Dass sie mich nä. Wo wieder operieren müssen. LG g
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29.09.2016, 20:27 | #26 |
abgemeldet
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29.09.2016, 20:40 | #27 |
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Danke, Larkin. LG g
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30.09.2016, 00:38 | #28 |
R.I.P.
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30.09.2016, 09:00 | #29 |
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hallo thing,
meinem notebook geht es nun auch schlecht. es wurde gestern abend von einem virus befallen, als ich englischsptachige youtubes von der letzten olympiade zu meiner eigenen notwendigen erbauung und tröstung ansah. alle dateien und bilder sind gelöscht, die festplatte ist praktisch leer. mein motto: geteiltes leid ist halbes leid lg g |
30.09.2016, 13:50 | #30 |
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als ich nachts die klingel bediente, die bettflasche war voll, brachte mir der pfleger ein trockenes brötchen mit, das ich gierig verspeiste. seit 16 stunden die erste kost.
am nächsten morgen, der rücken tat vom unendlich langen liegen weh, um halb acht ein frühstück. ich setzte mich erleichtert an den tisch, schaute beim kauen den ausländischen putzfrauen zu, hob meine füße, damit sie überall wischen konnten...und unerwartet, ich frühstückte noch immer, kam der professor von gestern, blieb neben mir stehen: „wie geht's? - ich kann sie frühestens freitag oder vielleicht erst montag wieder operieren! es wird eine bastelei werden, und ihr arm nicht mehr wie früher.“ in diesem moment klang plötzlich das „oh nein!“ von gestern abend in mir auf. ich fragte vorsichtig, denn ich wollte sein können ja nicht infrage stellen, ob eine uniklinik wie göttingen nicht mehr möglichkeiten habe, eine solche trümmerfraktur zu richten. er zuckte die achseln, schien skeptisch, lenkte aber ein: sein früherer mitstudent sei dort jetzt professor, er riefe ihn an. eine auszubildende räumte mein tablett ab, sonst kümmerte sich niemand um mich. gegen zehn uhr klopfte jemand an der tür, und meine hausnachbarin, deren enkel ich alljährlich in roter kutte mit weißem bart beschere, trat herein, betrachtete meinen eisernen arm. ihr mann sei zur lungenkontrolle heute hier, da sei sie mitgekommen, um nach mir zu schauen. „und wir dachten, du bist tot! was machst du nur auch wieder?“, entfuhr es ihr. es klang, als liefe ich immerzu als weihnachtsmann durch die welt, kannte noch keine landstraßen und torkelte unwissend gegen lkws. ich sagte nichts zu ihrer einschätzung. denn schließlich sah sie uns vor 15 jahren aufs dorf ziehen, weit weg von meinem arbeitsplatz in der schule… der große hof neben ihrem häuschen stand damals länger leer und niemand kaufte ihn, und nun kamen wir, zogen dort mit drei kindern ein, die in der scheune spielten. handwerker gingen bei uns ein und aus, während ihr mann solche arbeiten selber machte. sie sah, wie morgens die dorfkinder bei uns klingelten, unsere söhne mitnahmen, in die vierte und die zweite klasse begleiteten, wie unsere tochter eingeschult wurde. sie sah den schulwechsel der söhne auf kleinstädtische gymnasium, und wie sie morgens zur bushaltestelle gingen. später sah sie, dass bei uns jede nacht hindurch das licht brannte, weil wir, wenn die kinder schliefen, miteinander stritten, wie der große sohn aggressiv wurde und der jüngere ein halbes jahr die schule verweigerte, wie die erziehungshelfer kamen und wie meine frau mit der tochter auszog… wie der hof versteigert wurde…und meine söhne und ich die einrichtung zwei häuser weiter trugen und wir jetzt zur miete wohnten... und wie ich, dem einspruch meiner frau enthoben, dem älteren sohn einen rottweiler kaufte, der ihn besser erzog als ich, wie der jüngere sohn wegzog, und wie der rottweiler mich biss, 2009 … die nachbarin und ich hatten dies und das geredet, als ich ihr sagte, dass ich vielleicht zur op nach göttingen ginge und sie dann freundlich verabschiedete. um zwölf erschien ein pfleger. ich käme nun auf die 7, die station, wo ich hingehöre und zugleich die station meines operateurs. ich raffte meine sachen zusammen, setzte mich in den rollstuhl, den er schon bei sich hatte, nahm die jutebeutel auf den schoß ... und auf der 7 erfuhr ich: „sie werden ja heute nach göttingen verlegt.“ ich war überrascht. aber auch anderes ging momentan sehr schnell. ich bekam einen stapel papier vorgelegt: „hier unterschreiben bitte!“ ein x markierte jeweils die stellen. „und was unterschreibe ich denn?“ - „dass sie auf station 7 gelegen haben und der professor das abrechnen darf.“ jemand sagte, ich müsse dringend noch zur computertomographie, dann wurde sie „abgeblasen“, wie es recht umgangssprachlich hieß, und als mir langsam der mund staunend offenstand, wurde ich doch noch zu dieser ct gebracht. die röhre summte und brummte, und ich lag auf dem bauch, und der arm über kopf. eine diskette mit den vielen schichtbildern in der hand wartete ich kurz darauf auf das taxi, dass mich nach göttingen bringen solllte… Geändert von gummibaum (30.09.2016 um 15:06 Uhr) |
30.09.2016, 14:28 | #31 | |
R.I.P.
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Zitat:
Wens trifft, den trifft es richtig! Ich drücke für alles weiterhin fest die Daumen! GLG von Thing |
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30.09.2016, 14:35 | #32 |
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der virus hat sich aufgelöst, und alles ist plötzlich wieder da. sehr, sehr seltsam...
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30.09.2016, 14:37 | #33 |
R.I.P.
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wirklich seltsam, aber umso besser!
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