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22.07.2016, 23:43 | #1 |
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Der Sandkasten
Astrid.
Es gab nur Astrid. Sie war meine Spielkameradin, meine Jugendfreundin, meine Eisdielenprinzessin und meine Tanzpartnerin. Gemeinsam füllten wir Förmchen mit wassergetränktem Sand und klopften kleine Kuchen auf den Betonrand des Sandkastens, die niemand essen wollte. Wir drückten nebeneinander die Schulbank von der ersten bis zur letzten Klasse, schrieben bei Klassenarbeiten voneinander ab und heimsten Bestnoten ein. Wenn wir in der Eisdiele die köstliche Süßigkeit mit zwei Löffeln aus einer Schale schabten und uns auf der Zunge zergehen ließen, genoss ich die neidischen Blicke meiner Kameraden. Noch schlimmer war es in der Tanzschule: Jeder Junge hätte sein Erbe verpfändet, um mit Astrid nur einmal tanzen zu dürfen, aber mit ein paar geschickten Drehungen und witzigen Worten wusste ich das immer zu verhindern. Ich hatte einen guten Grund, Astrid zu verteidigen: Sie war das schönste Mädchen in einem Umkreis, dessen Ausmaß ich nicht zu schätzen wagte, denn mit jedem Versuch wurde der Umkreis weiter. Es war ein Problem, das sich mathematisch nicht einfangen ließ und das ich gerne mit meinem Lehrer besprochen hätte, aber da war zu spät, denn wir hielten unsere Abschlusszeugnisse in den Händen und machten uns daran, etwas Ordentliches zu werden. Ich entschied mich für die technische Laufbahn und schrieb mich an einer Fachhochschule ein. Astrid ging den weiblichen Weg: Bürotechnik, PC, Sprachen. Die Idee hinter meiner Berufswahl war, dass ich eines Tages den Betrieb von Astrids Vater übernehmen sollte. Auf halber Strecke spürte ich, dass mir das eigentlich nicht lag und ich aussteigen wollte. Aber Astrid redete mir ins Gewissen: Erst mal einen Abschluss in der Tasche haben, dann sehen wir weiter. Sie verdiente inzwischen schon dickes Geld als Fremdsprachensekretärin, also büffelte ich weiter. Ich schaffte den Abschluss und war Astrid unendlich dankbar, dass sie mich bei jedem meiner Durchhänger aufgebaut hatte. Zwei Jahre später ging mein Schwiegervater in den Ruhestand und übertrug mir sein Geschäft. Es war nicht gerade das, was ich mir für mein Leben vorgestellt hatte, aber es war solide. Ich fühlte mich sicher und geborgen. Das Geschäft lief wie geschmiert, und es war an der Zeit, eine Familie zu gründen. Astrid wurde problemlos schwanger und hängte ihren Beruf an den Nagel, und weil wir beide die Elternschaft als ein großes Glück empfanden, kam das zweite Kind gleich hinterher. Als Astrid mit dem dritten Kind schwanger war, fragte ihre beste Freundin besorgt: „Wie geht das denn?“ Astrid missverstand die Frage und antwortete: „Ganz einfach: Man muss nur rammeln wie die Hasen.“ Da die Stadtwohnung für eine Großfamilie aus den Nähten zu platzen drohte, kauften wir ein Häuschen außerhalb, für das wir uns über die vier Ohren verschuldeten. Ein weiterer Kredit war für die Anschaffung eines familiengerechten Autos fällig. Erst dachten wir an einen SUV, aber dann entschieden wir, dass mit Blick auf die Zukunft ein Van die kostengünstigere Variante war. Aber dann kamen keine Kinder mehr. Astrid wurde nicht mehr schwanger. Nach drei Mädchen hätte ich mir einen Jungen gewünscht. Einer gegen vier ist ziemlich unfair, aber zwei gegen drei wäre erträglich gewesen. Schnüffeln war nie meine Art. Ich hatte Kopfschmerzen, wollte zur Arbeit und etwas tun, um einen klaren Kopf zu bekommen. Beim Kramen im Medizinschrank entdeckte ich die leere Tablettenkarte, die Astrid wegzuwerfen vergessen hatte: Anti-Baby-Pillen. Ich sagte nichts. Am Wochenende wechselte ich für die Mädchen den Sand im Kasten aus und spielte mit ihnen Sandburg bauen. Astrid war liebenswürdig wie immer. Nur einmal wurde sie ernst und sagte: „Wir reden kaum noch miteinander.“ „Findest du?“ „Nein, ich bilde es mir wohl nur ein.“ Sie versuchte, mich aufzubrechen, wieder an mich heranzukommen, und ich Trottel verstand sie nicht. Erst als ich die Liebesbriefe in ihrer Schreibtischschublade fand, begriff ich, dass sie längst die Reise in eine neue Welt angetreten hatte. Als ich am Montag vom Geschäft nach Hause kam, war sie fort. Auch die Mädchen waren fort. Das war ungewöhnlich für diese Zeit. Nein, nicht ungewöhnlich, sondern unnormal … alarmierend! Ich rief meine Schwiegereltern an. Nein, keine Ahnung, was Astrid und die Mädchen betrifft. Sie logen. Im Hintergrund hörte ich die Stimme meiner Tochter Karla, die ans Telefon kommen wollte, aber zurückgehalten wurde. Ich war hilflos. Ich verstand Bruchteile, aber ich verstand die Zusammenhänge nicht. Durch das Fenster sah ich, wie im Garten die Sandburg unter dem Regen zusammensackte. Und da wurde mir alles klar. 22.07.2016 |
26.07.2016, 07:00 | #2 |
Ziemlich vorhersehbare Geschichte (große Liebe, die am Alltag zerbricht) und die Idee, dass der Protagonist die Antibabypille seiner Frau findet, von der er bis dato nicht gewusst hat, dass sie sie nimmt, ist auch nicht gerade neu. Zudem ist die Geschichte zum Ende hin ziemlich lieblos runtergeschrieben, das hätte man besser ausarbeiten können. Den Anfang finde ich ganz unterhaltsam, dann gibt es einen Bruch in der Geschichte, nachdem eigentlich alles in Ordnung ist, sagt sie aus heiterem Himmel: "Wir reden nicht mehr miteinander" und schwupp, schon ist sie mit Kind und Kegel weg. Da hätte man vorher in der Geschichte mehr andeuten können in der Richtung.
Zitat: "aber ich verstand die Zusammenhänge nicht". Der Leser auch nicht, da fehlt eine Kleinigkeit, ein Hinweis darauf, dass sie weg will. |
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26.07.2016, 07:40 | #3 |
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Stimmt. So ist es oft, wenn man Geschichten aus dem wahren Leben erzählt. Es ist wirklich nichts Besonderes, eigentlich nur die Erinnerung an ein Paar, das ich ein paar Jahr lang kannte. Das übrigens immer noch glücklich vereint ist. Das zu schreiben wäre aber noch schlimmer gewesen, denn wer interessiert sich schon für die perfekte Liebe?
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26.07.2016, 17:41 | #4 |
Finde ich nicht, dass dies noch schlimmer gewesen wäre. Im Gegenteil, mich hätte es gefreut, etwas über die perfekte Liebe zu lesen. Und wenn sie dann sogar noch von einem Paar, das du kennst, gelebt wird und sie immer noch glücklich miteinander sind - ist doch super!
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26.07.2016, 17:56 | #5 |
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Das widerspricht jeglicher Dramaturgie, und das wussten schon die antiken Griechen. Du wirst bei ihnen nicht einen einzigen Friede-Freude-Eierkuchen-Stoff finden, und niemand hätte das so super gefunden, dafür ins Theater zu gehen. Offensichtlich hast Du den Sinn nicht verstanden, weshalb sich Menschen seit der Steinzeit Geschichten erzählen.
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26.07.2016, 18:04 | #6 |
Ach was. Ehrlich?
Ich schrieb: ICH lese gern Geschichten über die große Liebe und glückliche Leute. Wenn für andere der Sinn darin besteht, Tragik zu lesen, meinetwegen. Ist trotzdem nicht mein Ding. |
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26.07.2016, 18:06 | #7 |
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26.07.2016, 18:08 | #8 |
Lies nach. Das war Ironie. Außerdem, woher willst du wissen, warum die Menschen sich früher Geschichten erzählten? |
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26.07.2016, 18:20 | #9 | |
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Zitat:
Sich mit Erzählstrukturen auseinandergesetzt? Theaterstücke, Novellen, Romane und Filme analysiert? Charakterstudien über literarische Figuren betrieben? Etwas von der "Heldenreise" und ihrer Struktur gehört? Von Archetypen? Von Exposition, Konflikt und dessen Auflösung? Von Ordeal, Klimax und Katharsis? Schon mal Gedanken darüber gemacht, warum fast alle Erzählungen (Hitchcock nehme ich aus) nach der gleichen Struktur aufgebaut sind? Die Liste der Fragen könnte ich noch ein gutes Stück weiterführen. |
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27.07.2016, 06:50 | #10 |
Schon mal Kishon gelesen?
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27.07.2016, 06:52 | #11 |
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Ja.
Aber aus dem Alter bin ich schon lange raus. Geändert von Ilka-Maria (27.07.2016 um 08:40 Uhr) |
27.07.2016, 07:54 | #12 | |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zitat:
Wer sich ausführlich damit beschäftigt hat, braucht vor der nächsten Klausur keine Angst zu haben. Danke für die wertvollen Hinweise. Ich finde, "Die Wand" von Marlen Haushofer ist da irgendwie anders. Nachdem der Konflikt herausgearbeitet ist, läuft es doch ziemlich gleichmäßig ab, abgesehen von kleinen Rückschlägen, wie Katze weg, Katze tot. Ist aber trotzdem nie langweilig. LG Nöck |
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27.07.2016, 08:35 | #13 | ||
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Zitat:
Danke für das Feedback, Nöck. So ist es. Wenn Du Literaturquellen brauchst, kann ich sie Dir gerne nennen. Zitat:
Aber zu meinem Text: Eine Geschichte kann man ihn nicht nennen, er hat eher den Charakter eines Exposés. Weder der Konflikt noch die Figuren sind ausgearbeitet, das ganze liest sich eher wie eine Inhaltsangabe oder die Idee zu einem Plot. Normalerweise folgt einem Exposé ein Treatment, in dem der Stoff ausführlicher, quasi in den einzelnen Sequenzen dargestellt wird. Wichtig ist, zusätzlich die Hauptfiguren zu entwickeln, indem man ihnen eine Biografie und Charaktereigenschaften zurordnet, die auf die Handlung Einfluss haben. Nur so hat der Autor einen sicheren Leitfaden, die Geschichte zielgerichtet zu schreiben und sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Im Grunde lag der Irrtum bei meinem Text von Anfang an darin, ihn als Erzählung einzuordnen. LG Ilka |
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27.07.2016, 09:15 | #14 | |||
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zitat:
Zitat:
Zitat:
LG Nöck |
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27.07.2016, 09:33 | #15 | |
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Zitat:
In Ordnung, hier ein paar Tipps. Für die besten Bücher über das literarische Schreiben halte ich diejenigen von Lajos Egri und Sol Stein: Sol Stein: Über das Schreiben. Erschienen bei Zweitausendundeins. Lajos Egri: Literarisches Schreiben. Starke Charaktere - Originelle Ideen - Überzeugende Handlung. Autorenhaus-Verlag. Christopher Vogler: The Writer's Journey. Mythic Structure for Writers. Da es ein Standard-Werk ist, gibt es das Buch vielleicht auch auf Deutsch. Joachim Hammann: Die Heldenreise im Film. Erschienen bei Zweitausendundeins, aber nur noch antiquarisch zu bekommen. Für Dialoggestaltung finde ich das Buch von Oliver Schütte recht gut: "Schau mir in die Augen, Kleines", erschienen bei UVK-Verlagsgesellschaft. Viel Spaß! |
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27.07.2016, 09:38 | #16 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Das ist lieb, danke
Liebe Grüße Nöck |
27.07.2016, 12:29 | #17 |
27.07.2016, 13:48 | #18 |
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28.07.2016, 01:56 | #19 |
Dabei seit: 11/2008
Ort: bye the Godfarther! The God? the God!..... Father!
Alter: 40
Beiträge: 949
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Mir hat die Story schon gut gefallen.
Ich dachte erst der mann wäre die frau und wenn es ein krimi gewesen wäre hätte ich schon genauer nachgesehen und dann am ende hab ich dann schon nachgedacht und dann hab ich auch noch gedacht ach die beste freundin war gar nicht die neue beste freundin sondern die alte beste freundin gewesen. Tatsächlich finde ich aber das es so wie es ist sehr realitäts nahe ist. So einfach und kaltblütig ist das leben nun mal in seiner einfachen art es ist einfach nun mal was anderes als ein bunter knaller oder das nächste harte rassante pro 7 kugelhagel gewiter. Sehen wir uns doch nur mal Bourne an. In dem film lernt franka potente jason bourne vor einer Bank natürlich in der schweitz kennen. Jason Bourne ist ein aufregender geheimagent der vor all den cops der CIA auf der flucht ist, die feuern auf ihn oder die wollten es zumindest, ich weiß es nicht mehr habs vergessen. Und wenn ich mich recht erinnere entführt er sogar die franka potente einfach und die verliebt sich dann auf der flucht und so im auto. Wenn ich mir diesen film ansehen fällt mir direkt auf wie langweilig doch die meisten "echten" Damen sind das sie schlicht nicht dazu in der lage sein können sich vor einer schweizer bank entführen zu lassen und dann auch noch fluchtwagen zu fahren. Von daher muss man dokumentativ eher einen real shocker bringen wo das liebsleben einfacher ins wasser fällt obwohl es irgendwo zugegeben sicher auch n paar ganz tolle agenten gäben mag. Weiß nicht ob ich das so richtig zusammen gebracht habe. Aber wegen literaturtips. Ich suche immer noch den kompletten Pali Cannon in deutsch. |
28.07.2016, 12:02 | #20 |
R.I.P.
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Hallo, Ilka-Maria -
aber da war zu spät
hier hast Du das es vergessen. Warum soll das keine Geschichte sein? Der größte Teil handelt von der großen Liebe - das i s t eine Liebesgeschichte. Später bekommt der Text Exposé-Charakter. Aber die Pille und die Flucht - das reißt niemanden mehr vom Hocker, wenn es nicht mit Leben gefüllt wird. Meine Sichtweise. Liebe Grüße von Romulus Thing |
28.07.2016, 12:16 | #21 |
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Hatte ich bereits erklärt: Es gibt keine ausgereiften Charaktere und kein entweickelte Handlung.
Es fehlen aber noch weitere Merkmale einer Kurzgeschichte, nämlich die Begrenztheit von Raum, Zeit und Handlung. So gesehen eignet sich dieser Text, den ich nach wie vor eher als ein Exposé ansehe, allenfalls als Plot für einen Roman, vielleicht auch - wenn man das entsprechende Element einfügt - für eine Novelle. Für eine Kurzgeschichte taugt er nicht, weil er schon zeitlich wesentlich enger gefasst sein müsste. |
28.07.2016, 12:20 | #22 |
R.I.P.
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Och Du - immer Deine Gelahrtheit!
Die dazu auch noch stimmt! Muß mir später mal Dabschis Kommntare durchlesen. |
28.07.2016, 12:26 | #23 |
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