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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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29.12.2019, 14:56 | #1 |
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Was geht mich die Geschichte an?
Die Last der kollektiven Schuld
macht jedes Kind, das neugeboren, zum Sünder für der Väter Taten: Es hat beim ersten Schrei verloren, tut Buße lebenslang auf Raten - doch langsam reißt ihm die Geduld. Die junge Frau, der junge Mann, auf freier Wildbahn aufgezogen und international verbunden, erkennen längst: Ihr seid verlogen, was eure Väter recht gefunden, geht uns nicht das Geringste an. Wir wollen vor anstatt zurück, drum helft uns, Lösungen zu finden denn diese Welt strotzt vor Problemen, und diese Not zu unterbinden gelingt uns nur im Einvernehmen, Gewissenskult führt nicht zum Glück. |
30.12.2019, 11:02 | #2 |
Guten Morgen,
zwei Fragen, weil ich es nicht ganz verstehe: 1. " ... tut Buße ..." -- Jedes Kind tut Buße? Mir scheints eher so, dass jedes Kind die Verantwortung für die Zukunft trägt, damit die vergangene Katastrophe nicht wiederholt wird. "Verantwortung für die Zukunft" tragen heißt nicht "Buße tun". Aber vielleicht meinst Du etwas völlig anderes. Deshalb frage ich. 2. "Ihr seid verlogen, was eure Väter recht gefunden ..." -- Ich las das "Ihr" als Zeiger auf die Väter. Dann folgt wiederum "eure Väter". Meint das dann des Kindes Großväter? Oder meint das "Ihr" die Kinder? Aber wer ist dann "uns"? Die multiplen Vater-Ebenen verwirren meinen Lese-Kompass. Keine Kritik, nur eine weitere Frage. P. |
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30.12.2019, 12:46 | #3 | |
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Zitat:
Wenn es um den Begriff der Erbsünde geht, kommt jedes Kind schuldig zur Welt und muss für die Sünden der Vorväter büßen - in der Bibel steht, "... bis ins siebte Glied". Im Falle der Deutschen besteht die Erbsünde in der Anzettelung des 2. WK und der Ermordung der jüdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten, und dieses Vorwurfs ist die Jugend mittlerweile satt bis zur Abstumpfung. Zu 2.: Mit "ihr" ist die Generation gemeint, die für den Krieg verantwortlich war. Und ja, es geht sowohl um die Väter und Großväter, denn beide Generationen waren Vertreter dieser Zeit. Wobei zu unterscheiden ist, wer von ihnen die Entscheidungsträger waren, denn der Mann aus dem Volk marschierte nicht mehr mit breiter Brust und einem Lied auf den Lippen an die Front, wie das bei Ausbruch des 1. WK der Fall war. Letzendlich bezahlt jedoch das Volk, das den Krieg verliert, die Zeche. |
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30.12.2019, 14:28 | #4 | |
Zitat:
Die letzte Strophe des Gedichts finde ich gut (naja, die letzte Zeile ausgenommen). Die ersten beiden Strophen hingegen halte ich für einen intellektuellen Unfall; die braucht das Gedicht gar nicht. |
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30.12.2019, 15:04 | #5 |
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Um dich geht es gar nicht, und um Höcke erst recht nicht.
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30.12.2019, 15:16 | #6 |
Doch, Dein Text schließt mich mit ein. Siehe Fettdruck:
Die Last der kollektiven Schuld macht jedes Kind, das neugeboren, zum Sünder für der Väter Taten: Es hat beim ersten Schrei verloren, tut Buße lebenslang auf Raten - doch langsam reißt ihm die Geduld. Die junge Frau, der junge Mann, auf freier Wildbahn aufgezogen und international verbunden, erkennen längst: Ihr seid verlogen, was eure Väter recht gefunden, geht uns nicht das Geringste an. Erfreulicherweise bemängelst Du solche Verallgemeinerungen oftmals bei anderen Schreibern im Forum. In diesem Fall jetzt hast Du leider Deine eigene Maxime aus den Augen verloren. |
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30.12.2019, 16:03 | #7 |
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Der feststehende Begriff der "kollektiven Schuld" und was darunter zu verstehen ist existiert in diesem Zusammenhang schon lange, stammt also nicht von mir. Da er aber nun mal in die Welt gesetzt und zum Bestandteil der deutschen Geschichtsschreibung wurde, kann ich ihn nicht ignorieren oder ersetzen. Deshalb bin für deinen Einwand der falsche Adressat. Es bleibt dir überlassen, den Schöpfer dieses Begriffs ausfindig zu machen und ihm die Etablierung einer Verallgemeinerung vorzuwerfen.
Das "uns" im letzten Vers ist übrigens der wörtlichen Rede zuzuordnen, auch wenn ich auf die Anführungszeichen verzichtet habe. Bei genauerem Lesen hätte das auffallen müssen. |
30.12.2019, 16:29 | #8 | |
Zitat:
Warum schreibst Du nicht einfach in der Ich-Form? |
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30.12.2019, 17:21 | #9 |
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Ganz einfach: Weil es sich nicht um meine direkte Erfahrung handelt, sondern ich im Namen der heutigen Jugend spreche, die sich gegen die moralische Keule zu wehren beginnt. Ich selbst stelle in dem Gedicht überhaupt keine Behauptung auf, sondern beschreibe lediglich die Haltung dieser Jugend, die den Bezug zur Geschichte des vorigen Jahrhunderts immer mehr verliert.
Letztendlich hängt das auch mit der späten Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen zusammen, dass dieses Trauma bis heute diskutiert wird. In meiner Jugendzeit schwiegen die Menschen darüber, auch die Schule klärte nicht auf. Deshalb erfuhr ich auch nicht, dass das Stadttheater von Offenbach, das in unserer Straße lag, vor dem Krieg eine Synagoge war. Von Baustilen hatte ich als Kind keine Ahnung, so dass ich von selbst nicht darauf kommen konnte. Anfang der 60er kamen die ersten Dokumentarfilme im Fernsehen, in denen ich die Leichenberge sah, die von den Allierten mit Schaufelraupen aus den Konzentrationslagern transportiert wurden, aber die Erwachsenen wollten sie nicht wahrhaben. Das Entsetzen, aber auch die Ungläubigkeit waren zu groß. Dann kamen die 68er und einige Jahre später der RAF-Terror, so dass die Nazi-Themen wieder beiseite geschoben wurden - bis die Fernsehserie "Holocaust" aus den U.S.A. ins deutsche Fernsehen kam. Erst dann gewannen die Diskussionen über die Nazi-Verbrechen richtig an Fahrt. Allmählich wurde auch klar, wie viele öffentliche Posten, z.B. an den Gerichten, von Alt-Nazis besetzt waren, so dass der Protest gegen sie zum Bestandteil der Studentenrevolte wurde. Vielleicht hätte das Aufbegehren gegen das Schweigen der "Alten" früher stattfinden sollen - aber durch wen? Die Jungen wussten lange Zeit selbst nicht Bescheid, und von den Eltern und Großeltern war nichts zu erwarten, denn sie waren mit dem Wiederaufbau Deutschlands und den Bergen an Arbeit in Industrie und Handel beschäftigt. "Wir sind wieder wer" war 1981 ein Sachbuch Bernt Engelmanns, der darin den Zeitgeist der 50er bis 70er Jahre und den Aufstieg Deutschlands zum Wirtschaftswunderland beschrieb. Die Deutschen wollten ihre eigene Wohnung haben, sie modern einrichten, chice Kleidung tragen, Auto fahren und in Italien Urlaub machen. Die Kuba-Krise, die beinahe den 3. WK ausgelöst hatte, ging ihnen mehr unter die Haut als die Nazi-Verbrechen. Eine U.S.-amerikanische Familiensaga war notwendig, um den Damm der Ignoranz endgültig einzureißen. |
30.12.2019, 17:30 | #10 | |
Zitat:
Und Du erwähnst wieder "die moralische Keule", die nicht von Dir stammt, aber die Du doch für so faktisch allgegenwärtig hälst, damit Du eine Prämisse in der Hand hast für Deine pauschale Jugend-von-heute-Hypothese. Ich denke, ich verstehe Deine Befürchtung, dass die Jungen sich zeitlich von der Zahl 1945 immer weiter entfernen. Aber Dein Text baut aus dieser Idee einen pauschalen, pseudo-allwissenden Hypothesen-Salat, anstatt die Idee beispielsweise in Fragen zu verpacken oder was auch immer. |
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30.12.2019, 17:53 | #11 | |
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Zitat:
Und sorry: Ein Gedicht hat die Dinge auf den Punkt zu bringen, zu umständlichen Erklärungen, um Missverständnisse auszuschließen, taugt es nicht. Da könnte ich ja gleich mit statistischen Zahlen aufwarten und zur Krönung den albernen Genderismus bedienen. Wir sind hier auf Poetry, nicht bei der Zeitung, nicht in der Meinungsforschung und nicht in einem Hörsaal für pseudowissenschaftliche Vorlesungen über die Geschlechter. Also was soll diese Haarspalterei und Falschbehauptung? Wenn du es besser kannst, dann schreib das Gedicht neu, wie du es für richtig hältst. Das wär doch mal eine spannende Sache. |
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30.12.2019, 18:06 | #12 | ||
Zitat:
Zitat:
Punkt. |
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30.12.2019, 18:09 | #13 |
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30.12.2019, 18:14 | #14 |
Raffiniert, die Dame :-)
Der Punkt oben ist allerdings als Satzzeichen gemeint, er markiert das Ende meines darüberstehenden Gedichtvorschlags. |
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30.12.2019, 18:16 | #15 |
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30.12.2019, 18:30 | #16 |
Dieser andere Punkt, den Du vermutlich meinst, ist ja nur deshalb ein Punkt, weil er klein ist. Klein ist eine Eigenschaft, die man sicherlich mit vielen anderen Individuen teilt, zum Beispiel mit Kätzchen und Glühwürmchen. Da kann man sich also durchaus verallgemeinern. Da stimme ich Dir zu. Nastrovje. Wenn man den Punkt allerdings unter die Lupe nimmt, dann sieht man: Das ist eine Kartoffel. -- Die ist einmalig wie ein Fingerabdruck.
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30.12.2019, 19:00 | #17 | |
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Zitat:
Ich stelle mir gerade die Erde in einem Labor von Ratten im weißen Kittel vor, die sie in einem Planetarium durch ein Fernrohr betrachten: "Siehst du die Kartoffel da draußen?" - "Ziemlich deutlich. Noch ein bisschen grün, aber der Reifungsprozss ist erkennbar." - "Denkst du auch, was ich gerade denke?" - "Na klar." - "Sag's mir." - "Wenn da draußen noch mehr von diesem Zeug in gleichem Umfang rumfliegt, haben wir unser Ernährungsproblem gelöst." |
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30.12.2019, 19:02 | #18 |
abgemeldet
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Sagt das mal den Beltracchi Ilka!
Und was ist mit Zwillingen und Klone? |
30.12.2019, 21:29 | #19 |
Da wir gerade über Kartoffeln reden, und weil ich in letzter Zeit mehrmals freundlich gebeten wurde, ein eigenes Gedicht reinzustellen, möchte ich dies jetzt tun, genau hier, weil meine Schüchternheit keinen neuen Faden starten will. -- Das Werk stammt aus dem Jahr 2005, und ich denke, es ist authentisch geworden in Bezug auf den damaligen Moment; ich schrieb es im Kopf während ich in der Küche gedankenversunken am Schälen und Naschen war. Der ursprüngliche Titel lautete "Auf dem Küchentisch". Einen Tag später änderte ich ihn um zu "Sieglinde". Also. Kurz innehalten. Man muss es sehr, sehr leise und langsam lesen. (Die Schriftgröße sollte eigentlich ganz winzig sein, aber das kann man hier nicht verstellen.) So. Bitte um Besinnlichkeit. Es geht los:
Sieglinde Du Kartoffel du Du bist so hässlich Meingott bist du hässlich Aber du schmeckst so gut Himmel schmeckst du gut. |
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