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13.06.2007, 10:35 | #1 |
Unverständnis
Ich hätte doch das andere Abteil nehmen sollen.
Jetzt sitzt sie mir gegenüber, diese hagere Präsenz geballter Unnatürlichkeit. Komm, versuche ich mir einzureden, da stehst du doch drüber. Aber ich habe ja schon geahnt, dass ich meinen verständnislos-schockierten Blick nicht würde abwenden können. Das sonnenstudiovergilbte Leder scheint mit Tackernadeln in Form gehalten, über deren Spuren du sorgsam meterbreite Armreifen stapelst. Ich kann nicht verbergen dich zu mustern, deine grellen Augen spucken mir Abscheu entgegen, während ich noch versuche herauszufinden, in welchem Teil deines ausdruckslosen Gesichtes du deine akkurat gezeichneten Augenbrauen zu heben gedenkst. Ich hätte die haardünne Linie fast übersehen, hättest du nicht das kleine Büschelchen im Keller deiner Überlegenheit übersehen. Ich gebe es ja zu, etwas neidisch bin ich schon über das Vermögen deiner sisalsträhnigen Haarpracht beim fliegenden Wechsel zwischen wasserstoffblond und kohlrabenschwarz nicht gänzlich die Fassung zu verlieren. Ich wende mein Schmunzeln ab und berausche mich der lichtspiegelnden Farbenfrohheit vorbeiziehender Rapsfelder. Aus dem Augenwinkel bemerke ich das leichte Beben deiner zementgestärkten, bunt gestrichenen Krallen, die sich langsam in meine Richtung ausbreiten. Ich zucke unweigerlich zusammen, als du aus deiner zitronengrellgelben Handtasche ein Knäuel funkelnder Kettchen, Würfelchen und Häschen fischst und mühselig beginnst eine SMS zu schreiben. Das Klackern erinnert mich an alte Schreibmaschinen, naja, wenigstens hättest du dort die Tasten getroffen. Ein Seufzer entrinnt mir, du hebst deine stählernen Pupillen bis zum Anschlag, kritisch, denke ich mir, schlägst die Lider einen Moment später aber wieder zu bis schwarze Krümelchen die tiefen Furchen hinunter rieseln. Die Schiebetür öffnet sich mit einem schneidenden Ruck, die Gelklauen bahnen sich ihren Weg über ein Meer aus Reißverschlüssen bis zu dem, fein säuberlich in Folie eingeschweißten, Schülerausweis. Der Kontrolleur stutzt anhand seines Einblickes, verlangt ein wenig mürrisch nach deinem Personalausweis. Mit filigranen Greifarmen zerrst du ihn aus einem froschgrünen Portemonnaie, bestückt mit dämlich grinsenden Photos deiner wahrscheinlich ach so zahlreichen Hdgdl-Freundinnen. Ein erneutes kurzes Zittern und deine Identität fällt auf den harten Boden neben mir. Höflich hebe ich die kleine Karte auf und stutze... du warst mal richtig hübsch. |
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13.06.2007, 11:22 | #2 |
Hallo violett,
Deine Geschichte beschreibt eine Situation, die sicher einige kennen. Ich kann mich wenig in die Welt der Schicki-Micki-Damen hineinversetzen und hätte es durchaus mal interessant gefunden, eine Geschichte aus deren Sicht zu lesen (aber das sei nur nebenbei bemerkt). Hier ist die andere Seite beschrieben und ich lese auch nicht sehr viel mehr aus Deiner Geschichte, als die Kritik an solchen Damen. Klar, der Ich-Erzähler hat eine übertrieben schlechte Meinung und nutzt die Übertreibung auch als Stilmittel, wenn er sein Gegenüber beschreibt. Bleibt die Frage, wie man den letzten Satz versteht. Ist es ein Erwachen aus der übertriebenen Kritikhaltung, weil der Erzähler merkt, dass solche Menschen durchaus schön sein können (wenn ihre ganzen unnatürlichen Äußerlichkeiten verschwunden sind)? Dann könnte es durchaus auch eine Kritik an der Oberflächlichkeit desjenigen darstellen, der diese Weiber derart kritisiert. Oder ist es doch lediglich nur eine Feststellung, dass Ungeschminkheit eben viel ausmachen kann und diese Weiber doch gefälligst aufhören sollen, sich so unnatürlich zu geben? Nun, ersteres würde mir besser gefallen, da mir letzeres zu einseitig wäre. Ich mag es etwas vielschichtiger. Inhaltlich wird nicht ganz klar: Kannte der Erzähler diese Frau schon vorher? Und falls ja, warum wurde das so eingebaut? Was hat das mit der Intention zu tun? Falls nicht, dann gibt es einige Widersprüchlichkeiten. Wenn Bedarf besteht, kann ich diese gern noch aufzählen. Formal vollziehst Du einen Wechsel in der Anrede (erst Ansprache des Gegenübers in der dritten dann in der zweiten Person), dessen Sinn ich nicht erkennen kann. Sollte er keinen haben, empfehle ich, diesen zu entfernen. Das ist unnötig verwirrend. Struppige Grüße |
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13.06.2007, 11:52 | #3 |
Danke für die sehr ausführliche konstruktive Kritik. Ist meine erste Kurzgeschichte/Erzählung, deswegen würden mich einige Ungereimtheiten nicht verwundern.
Der Schlusssatz versteht sich auch, wie du angemerkt hast, als Kritik am Erzählenden; die eigene Vorurteilshaltung versperrt einem oftmals den Blick für Wesentlicheres und man begibt sich nicht selten auf ein Niveau, welches man bei anderen verurteilt. Man kommt leicht in die Versuchung denjenigen als dumm oder naiv zu betiteln, hinterfragt aber einfach zu selten warum sich dieser Mensch so gibt. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine Kritik an Schönheitsidealen, die im übertriebenen Maße einfach nicht mehr schön sind. Nun zu deinen Unklarheiten: Nein, der Erzähler kannte diese junge Frau (ich wollte das Alter bewusst auf Schülerin einschränken) nicht vorher, bildet sich aber ein, das alle "aufgetakelten Tussen" sowieso gleich sind. Daher auch die, ich nehme an das du darauf anspielst, anfängliche Anrede in der dritten Person, stellvertretend für die Gesamtheit dieser "Schicki-Micki-Damen". Ich würde mich im übrigen freuen, wenn du mir die anderen Unklarheiten auch noch aufzählen würdest. Es liegt im Übrigen nicht in meinem persönlichen Interesse diese "Schicki-Micki-Damen" zu verurteilen, dafür werde ich zu oft in eben diese Schublade (nein, nicht so beschrieben extrem) gesteckt. LG |
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13.06.2007, 14:02 | #4 | ||
Hallo violett,
Unklarheit besteht - wenn der Erzähler die Dame nicht kannte - vorallem in Folgendem: Zitat:
Zitat:
Insgesamt entsteht tatsächlich der Eindruck, er kenne sie irgendwoher und ist sicher darauf zurückzuführen, dass der Erzähler glaubt, sie alle zu kennen. Seine genauen Beschreibungen bestärken wahrscheinlich ebenfalls diesen Eindruck. Demnach ist es doch ganz gut so, dass es so rüberkommt, da es der Intention behilflich ist. Aber die beiden benannten Punkte sind trotzdem einer Überlegung wert, ob man da nicht etwas mehr Klarheit schafft. Übrigens klingt es vielleicht besser zu schreiben: "dass ich meinen verständnislos-schockierten Blick nicht würde abwenden können." Struppige Grüße! |
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13.06.2007, 15:28 | #5 | |
Gut, das würde abwenden können habe ich geändert, liest sich wirklich besser so.
Vielleicht sollte ich auch schreiben "bestückt mit dämlich grinsenden Photos deiner wahrscheinlich ach so zahlreichen Hdgdl-Freundinnen", das würde dann nicht mehr die Kenntnis der Freundinnen vorraussetzen, sondern lediglich eine Annahme dessen. Und zum zweiten Punkt: Zitat:
LG |
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13.06.2007, 15:55 | #6 |
Besser wäre: "Aber ich habe ja schon geahnt, dass ich meinen verständnislos-schockierten Blick nicht würde abwenden können."
Das "ahnte" macht nämlich wiederum den Eindruck, Du hättest Dich in der Zeitform vertan. Stattdessen plädiere ich fürs Perfekt, denn das bedeutet, es liegt ein Ergebnis in der Gegenwart vor. Dieses Ergebnis ist hier die Erfüllung der Vorahnung. Ansonsten habe ich nichts einzuwenden. |
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13.06.2007, 16:03 | #7 |
Dein Wunsch ist mir Befehl . Habe es jetzt abgeändert. Danke für deine Verbesserungsvorschläge!
LG |
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