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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten. |
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24.11.2023, 19:55 | #1 |
Morpho rhetenor
Zu Zeiten der Jahrhundertwende
an unsres Globus linkem Ende (genau gesagt um 1900, nur falls sich jemand drüber wundert) sind zwischen beiden Wendekreisen, wohin nur selten Leute reisen, noch immer viele weiße Flecken. Noch ist sehr Vieles zu entdecken. Dort wandelt wie auf schmalem Grat auf dämmerschwülem Dschungelpfad voll Neugier ein Insektenforscher. Sein Wanderstab wird stündlich morscher. Er dringt mit der Machete vor im Regenwald von Ecuador, durch giftig blühende Lianen sich mühsam einen Weg zu bahnen. Verfolgt von schrillen Vogelrufen durchdenkt er seines Lebens Stufen. An diesem schicksalhaften Tage erwacht in ihm die bange Frage: Entstand durchs Walten der Ananke in seinem Hirn der Schnapsgedanke, statt in der Heimat unter Buchen nach Faltern grade hier zu suchen? Hier sind Moskitos, Jaguare. Die Pfeile tränkt man mit Curare, und wird die Sache ganz misslingen, kann eine Boa ihn umschlingen. "Deshalb", so denkt er, "lieber Viktor, sei auf der Hut vor der Constrictor! Was dich so zauberisch verlockte, dass dir das Herz im Busen stockte, dich hinterm Ofen trieb hervor, das ist der Morpho rhetenor." So nennt des Fachgelehrten Bibel, die kleine Tropenfalterfibel, ein Wesen, das, dort abgemalt, im reinsten Himmelsblau erstrahlt - so eines der Naturjuwelen, für die sich Forscher gerne quälen. Auch jener Zunftgenosse leidet an Dingen, die man gerne meidet, ist auch schon leicht vom Fieber kränklich. Die Unternehmung wird bedenklich. Der letzte Rest von Hoffnung schrumpft, auf Pfaden, die schon sehr versumpft, ans Ziel noch glücklich zu gelangen: Ein solches Exemplar zu fangen. Wo hell der Pihas Schreie gellen, sind schlüpfrig oft des Weges Stellen. Auf einer ist er jetzt inmitten der grünen Hölle ausgeglitten. Doch gleich erhebt er sich vom Boden. Nur leicht verrutscht sind seine Hoden. Kaum ist die Sache korrigiert, als unserm Helden dies passiert: Er sieht den Himmelsfalter flattern und springt, ihn eilig zu ergattern. Schon hält er sicher ihn im Kescher: "Du bist mir ja vielleicht ein Fescher!" So kehrt er voller Jägerglück vergnügt in seine Welt zurück. Der Fang, in Chloroform getränkt, wird einem Institut geschenkt und dessen Sammlung einverleibt, wo nun er unter Glas verbleibt, auf eine Nadel aufgespießt, das seine Pracht man recht genießt. Der Fänger hat in Mußestunden schon bald danach herausgefunden: Der Falter konnte als sehr selten, ja fast als ausgestorben gelten. Nach tiefer gehenden Recherchen und eiligen Erkundungsmärschen blieb ihm die Einsicht nicht erspart: Es war der letzte seiner Art. |
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