Zweierlei Maß für "treu"
Es läuft immer nach demselben Muster ab: Wenn eine Ehe oder Partnerschaft zerbricht, wird einer der beiden Beteiligten illoyal.
Ich meine damit nicht die sexuelle Untreue. Jeder Engel kann fallen; jeder Mensch kann von Reizen oder dem Gefühl, der größten Liebe seines Lebens begegnet zu sein, überrumpelt werden.
Ich meine die Illoyalität, die entsteht, wenn während des Trennungsprozesses sich die kleinen Nager einstellen: Will ich die Trennung wirklich? Welches Risiko gehe ich ein, dass der Tausch gegen eine neue Beziehung von Vorteil ist? Eigentlich klar, denn ohne Federrupfen geht es nicht. Niemand, der sich schon einmal versprochen hat, kann wieder bei null anfangen.
Kein „neues Leben“ … das schürt Ressentiments. Und dann geht es los!
Dann bekommt der Partner, der „abgestoßen“ wurde, zu hören, wie schlecht jahrelang der Vermieter und alle Nachbarn über ihn/sie gedacht haben. Alle Register werden zu der eigenen Rechtfertigung gezogen, dass man sich endlich mal von dem Menschen zu trennen gewagt hat, mit dem man fälschlicherweise die Sexualität entdeckte, Zukunftspläne schmiedete, ein Heim schuf und Kinder in die Welt setzte. Denn angeblich entstand das unter Zwang, und man kam eben nicht eher heraus aus dem Dilemma. Aber dann bringt ja ein Engel in Gestalt einer neuen Liebe die Erlösung und hat das rettende Rezept zur Hand, wie Altlasten entsorgt werden und geknebelte Menschen in die Freiheit zurückfinden. Da ist jede Meinung recht, wenn sie die eigene Position stützt, und käme sie aus den unflätigsten Mündern, die der gemeinsamen und vergangenen Zeit angehören.
Dieses Anbiedern an Beifallsklatschern, um sich im eigenen Entschluss bestärkt zu fühlen, empfinde ich als zutiefst illoyal. Ich sehe einen Unterschied darin, sexuell betrogen oder als Mensch diffamiert zu werden.
Offensichtlich ist es nicht einfach, mit klarem Kopf auseinanderzugehen.
Nur zur Klarstellung: Ich spreche hier für einige Menschen, nicht nur für einen.
|