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25.11.2011, 20:34 | #1 |
Bucheckern
Das Grab von Uroma Helene lag im Schatten einer großen, alten Rotbuche. Direkt neben dem mächtigen Stamm befand sich eine Bank, auf der Großvater sich immer ausruhte, wenn er die schwere Gießkanne mehrmals vom Wasserspeicher des Friedhofs bis zum letzten Ruheort der Urgroßmutter getragen hatte. Besonders im Hochsommer war wichtig, nicht nur die Erde in den großen Pflanzkübeln ordentlich zu durchwässern, auch die schwere Marmorplatte musste von angetrockneten Blütenblättern, Staub und ausgeschwemmter Blumenerde befreit werden.
So stellte Großvater die letzte volle Gießkanne neben dem Grab ab und stapfe erschöpft in Richtung der Bank, um einen Moment zu verschnaufen. Die Aufgabe, die Grabplatte und die erhabenen, goldenen Buchstaben, die den Namen Helene bildeten, zu säubern und mit einer weichen Bürste zu polieren, kam mir allein zu. So kniete ich auf der Erde, schrubbte und wusch, was das Zeug hielt und gab mir alle Mühe, meine Sache gut zu machen. Es war Großvaters Eigenart, alle meine verrichteten Arbeiten noch einmal zu kontrollieren und danach ein warmes Lob oder einen Tadel auszusprechen. Oft musste ich nachbessern, aber bei der Grabpflege war ich stets bemüht, diese von Anfang an mit der geforderten Sorgfalt zu begehen. Der Friedhof und Gräber meiner Familie waren etwas Besonders für mich. Ich kannte viele Geschichten aus dem Leben der Verstorbenen, wusste um ihre früheren Eigenarten, ihr humorvollen und ihre harten Seiten und ich stellte mir vor, dass nicht nur Großvaters Blick prüfend auf mir ruhte, wenn ich diese Aufgaben übernahm. Später saßen wir dann gemeinsam auf der Bank und genossen die Ruhe und das Schattenspiel der Blätter über uns. Der Kieselsteinweg war übersäht von den kleinen, haarigen Früchten der Buche, sodass ich oft nicht anders konnte als diese mit flinken Händen einzusammeln und neben Großvater aufzutürmen. Geduldig nahm er dann jede einzelne in seine großen Hände, entfernte die raue Außenhülle und befreite die dreieckigen Samen aus ihren harten Schalen. Wenn er eine Menge beisammen hatte, teilte er diese in zwei kleine Haufen, wobei er den größeren der beiden mir zusprach. Genüsslich mümmelte ich dann meine bitter-nussigen Bucheckern, kuschelte mich an seine von der Sonne erwärmte Seite und lauschte den Geschichten von früher. Als kleines Mädchen erschein mir der Friedhof niemals als ein Ort der Trauer und des Schmerzes. Heute stehe ich vor einem anderen Grab, das man genau an derselben Stelle unter der alten Buche angelegt hat. In Gedanken versunken sammle ich die Schalen einiger Bucheckern von der Marmorplatte und wische den Staub aus den Buchstaben des Namens. Das Grab von Uroma Helene wurde schon vor vielen Jahren eingeebnet, seit einiger Zeit nun ist der Platz wieder belegt. Mühsam bekämpfe ich den Kloß in meinem Hals und blicke auf die leeren Schalen in meiner Hand. Es ist Herbst geworden. by Lux, 25.11.2011 |
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25.11.2011, 20:54 | #2 |
Schön. Bewegend. Gieskanne, nicht richtiger Gieß...?
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25.11.2011, 20:57 | #3 |
Danke, habs geändert.
Und danke für dein Lob! |
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25.11.2011, 21:17 | #4 |
abgemeldet
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hi, lux!
eine richtig feine geschichte über das andenken, erinnerungen und die vergänglilchkeit. gefällt mir sehr! fabelhafte lg |
26.11.2011, 08:18 | #5 |
Forumsleitung
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Liebe Lux,
Deine Geschichte ist mit Liebe zum Detail und atmosphärisch dicht geschrieben und liest sich wunderbar. Ich nehme an, sie gehört in den Zyklus Deiner Großvater-Geschichten. Lieben Gruß Ilka |
26.11.2011, 11:20 | #6 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Liebe Lux,
eine behutsam erzählte Geschichte, die mich besonders anrührt, weil sie mich ein wenig innehalten und über die Aufforderung "memento mori" nachdenken lässt. Ich mag da gar nicht drin herumfummeln, deswegen kriegst Du eine Mail. Hier nur eine Frage: War Helene die Frau Deines Großvaters oder dessen Mutter? Wenn sie die Frau war, dann ist Uroma nicht korrekt. Klär mich auf. Liebe Grüße, Heinz |
26.11.2011, 12:28 | #7 |
R.I.P.
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Halli Hallo, Lux!
Ich schließe mich an. Behutsam! Vor allem die letzten Zeilen sind sehr bewegend. Heinz wird wohl Gleiches aufgefallen sein wie mir - da erübrigt sich eine PN. LG Thing |
28.11.2011, 00:18 | #8 | ||
Hallo Heinz,
Zitat:
Auf deine Email bin ich gespannt. Ich danke den anderen für ihr liebes Lob! Hallo Ilka, Zitat:
mehr oder weniger ja. Es sind Geschichten rund um meinen Großvater, aber diese richten sich nicht an ein kindliches Publikum. Liebe Grüße Lux |
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28.11.2011, 02:20 | #9 |
Hallo Lux, eine wunderbar erzählte und gefühlvolle Geschichte. Ich war bei Dir, als ich sie las.
Liebe Grüße Mümmel |
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