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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten. |
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11.12.2022, 16:08 | #1 |
Suppe
die Suppe
heiß ist sie, dick Gemüse schwimmt darin weiß grün und blässlich rot auch Stücke Fleisch und aufgequollene Graupen der sie zu Mittag isst hat Brot hinein gebrockt das saugt sich voll und hängt vom Löffel lappig er hat die Arme aufgestützt am Wohlfahrtstisch sein Platz dort ist ihm sicher doch macht er sich nicht heimisch behielt den Mantel an die wollene Mütze auf dem Kopf ein struppiger Mann der unter Brücken schläft und lieber trinkt als isst doch essen muss, das weiß er noch mag ihm auch anderes entfallen sein die Suppe rutscht ihm durch den Hals der Adamsapfel wie ein Uhrwerk zählt die Schlucke gleich nach dem letzten legt, der sie aß, den Löffel hin steht auf und geht |
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11.12.2022, 16:15 | #2 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Das, liebe ftatateeta, ist eine ungenießbare Mahlzeit! Ich kann nur hoffen, dass du nie einen Platz am Wahlfahrtstisch einzunnehmen gezwungen bist.
Gruß, Heinz |
12.12.2022, 11:51 | #3 |
Lieber Heinz, wie meinst du das? Ist der Text ungenießbar, die Suppe oder die Situation? Deine Meinung ist mir wichtig.
LG |
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12.12.2022, 12:13 | #4 |
Forumsleitung
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Ist das ein Tippfehler oder gewollte Ironie?
Warum? In meiner Kindheit gehörten Suppen und Eintöpfe mit Graupen oder wahlweise Sago auf den alltäglichen Küchenzettel. Fleisch oder Wurst kam nicht immer hinein. Wir aßen ohnehin mehr Gemüse als Fleisch, letzteres blieb dem Sonntag vorbehalten, denn bereits ein Hähnchen war ein Luxusartikel. Wenn man unter der Woche etwas Fleischiges auf den Tisch brachte, waren es Nieren, Lunge, Leber, Haspel oder Ochsenschwanz, mitunter die kleingeschnittene Fleischwurst oder Rindswürstchen. Gekauft wurde bei den Metzgern, die schlachteten noch selber und hatten jeder ihre eigenen Spezialitäten. Vor allem wusste man, was man an Qualität bekam. Mir ist die moderne Schnäubigkeit, der ich immer wieder begegne, völlig unverständlich. Da stirbt ein Tier zu unserem Wohle, und das meiste an ihm wird zu "Abfall" deklariert, verwurstet, verfüttert oder nach Asien exportiert? Übrigens: Brotsuppe war ein geeignetes Mittel, Brotreste zu verwerten, anstatt sie wegzuwerfen oder Enten damit krankzufüttern. |
12.12.2022, 13:31 | #5 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Liebe Ilka-Maria,
ein Tippfehler, es sollte natürlich Wohlfahrtstisch heißen. Liebe ftatateeta, ich meine den Text. Die Beschreibung des Mannes, der offensichtlich auf die einzige warme Mahlzeit einer Wohlfahrtsorganisation angewiesen ist: "mit aufgestützten Armen (igitt, was für ein schlechtes Benehmen) am sicheren Wohlfahrtstisch (wo er auch noch den Mantel und die Wollmütze nicht ablegt), dessen Struppigkeit auf das Schlafen unter Brücken hinweist, der lieber trinkt als isst und dem beim Essen die Suppe durch den Hals rutscht, danach offensichtlich grußlos aufsteht und geht" ist mir zu tendenziell und wirft ein übles Licht auf die Bedürftigen. Besser wäre es wohl, so könnte man denken, er hätte wie tausend andere Millionen gescheffelt, wäre korrupt und bedenkenlos auf Kosten anderer reich geworden. Ich wette mit dir, dass es mehr, sehr viel mehr Reiche in unserem Land gibt als Arme, die froh sind, einmal am Tag was Warmes in den Bauch zu bekommen. Wo bleibt der kritische Blick auf diejenigen, deren Anblick uns erfreut und nie nachweisen müssen, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind? Liebe Grüße, Heinz |
12.12.2022, 15:08 | #6 |
Hallo Heinz
danke für die Klarstellung. Du weißt so gut wie ich: unter den Wohlfahrtsempfängern sind solche und solche. Ein breites Spektrum. Am einen Ende die, die große Dankbarkeit nicht nur empfinden, sondern auch zeigen. Die sich ordentlich aufführen bei Tisch. Am anderen Ende diejenigen, die sich selbst verachten dafür, dass sie Hilfe annehmen müssen. Vielleicht ein Rest Stolz aus einem früheren Leben. Das kann sich äußern in Trotz oder Resignation. Alkohol, oft der Auslöser der Situation, wird dann zum Tröster. Der Penner, den ich hier kurz skizziert habe, ist nicht typisch für "die Bedürftigen", (das habe ich auch nicht behauptet), aber es gibt ihn. Liebe Grüße |
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12.12.2022, 18:03 | #7 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Liebe ftatateeta,
na klar gibt es den! Die Frage ist: Ist so ein Typ "bedichtenswert"? Die "Gesellschaftskritik" eines Heinrich Heine ("Sie aßen und tranken am Teetisch") greift ironisch/spottend ins volle Menschenleben, karikiert sozusagen pointiert Vertreter der Gesellschaft. Dein Gedicht vermittelt für mich den Eindruck, als seien die verlotterten Penner ein Abbild der heutigen Gesellschaft. Sie sind aber nur Randerscheinungen, bedauernswerte Opfer einer immer egoistischer werdenden Ellenbogengemeinschaft. Ich kenne ein Gedicht (frag mich ja nicht von wem), in dem Jesus im Kreis seiner Jünger spazieren geht und eines räudigen Hundes ansichtig wird. Jesus bückt sich und streichelt die verlauste Töle. Petrus: "Herr, was tust du? Siehst du nicht das zerzauste Fell, die springenden Flöhe, das geifernde Maul und den hinkenden Gang?" (Muss ich beteuern, kein Christ zu sein?) Jesus antwortet: "Ja, natürlich sehe ich das alles, aber schau doch mal, was dieser Hund für schöne braune Augen hat." Ich weiß nicht, ob das Beispiel genau passt, aber vielleicht verstehst du, was ich damit sagen will. Liebe Grüße, Heinz (Eine sinngemäß ähnliche muslimische Erzählung ursprünglich von Nisami, hat Goethe ins Deutsche übersetzt): Herr Jesus, der die Welt durchwandert, ging einst an einem Markt vorbei; ein toter Hund lag auf dem Wege, geschleppt vor eines Hauses Tor, ein Haufe stand ums Aas umher, wie Geier sich um Äser sammeln. Der eine sprach: "Mir wird das Hirn von dem Gestank ganz ausgelöscht." Der andre sprach: "Was braucht es viel, der Gräber Auswurf bringt nur Unglück." So sang ein jeder seine Weise, des toten Hundes Leib zu schmähen. Als nun an Jesus kam die Reih, sprach, ohne Schmähn, er guten Sinns, er sprach aus gütiger Natur: "Die Zähne sind wie Perlen weiß." Dies Wort macht den Umstehenden, durchglühten Muscheln ähnlich, heiß. Geändert von Heinz (13.12.2022 um 01:48 Uhr) |
13.12.2022, 15:17 | #8 |
Lieber Heinz.
Also das hat mich ja erst mal umgehauen. Muss ich mir tatsächlich die Frage stellen, ob etwas "bedichtenswert" ist oder nicht? Brauche ich eine Schere im Kopf? Darf ich nur heile Welt besingen? Nachgedacht habe ich darüber, wieso dieser einzelne Suppenesser (den ich übrigens nicht bewertet, sondern nur beschrieben habe), wieso der für die Gesellschaft als solche stehen soll. Ich wüsste nicht, woran das festzumachen wäre. Dass an dem Tisch noch andere sitzen, versteht sich von selbst. Dass er nicht mit ihnen redet und sie nicht mit ihm, ist Teil der trostlosen Szene. Wenn ich deine Beispiele recht verstanden habe, hätte ich an dem Mann etwas Positives hervorheben sollen? Danke dir jedenfalls vielmals, dass du dich mit dem Text beschäftigt hast. Herzliche Grüße |
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13.12.2022, 16:58 | #9 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Liebe ftatateeta,
den Eindruck, man könne nur die heile Welt besingen, wollte ich nicht vermitteln. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, was mich eigentlich an deinem Gedicht stört. Vielleicht ist es die eindimensionale Beschreibung des Suppenessers. Und das grenzt an Stigmatisierung. Irgenwie lässt du kein gutes Haar an dem armen Kerl, sagst auch nichts über die Gründe und das verfälscht den Blick (so empfinde ich das zumindest). Liebe Grüße, Heinz |
13.12.2022, 17:55 | #10 |
Hm.
Weißt du, eigentlich geht's ja um die Suppe. In der ursprünglichen Fassung kam ein Eisenkessel vor und ein dralles Mädchen, das Suppe "für den Nächsten" schöpft. Der Nächste im doppelten Sinn. Das schien mir zu allgemein und ich habe geändert. Dadurch hat sich der Fokus verschoben. Vielleicht ist es das, was die Unstimmigkeit hervorruft. Danke jedenfalls für den Denkanstoß. LG |
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14.12.2022, 13:48 | #11 |
Bedichtenswert, @Heinz ist doch alles, auf das ich meine Aufmerksamkeit lenke.
Die Kunstfertigkeit macht, ob daraus etwas wird, das mich erreicht, das Gedicht genannt werden kann. Dieses Gedicht hier @flatateeta las ich als pure und traurige Beschreibung eines derer, die in Armutsküchen sitzen. Eine schlichte Beschreibung, die ich so sein lassen kann. vG MuschelIch |
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14.12.2022, 15:46 | #12 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Liebe ftatateeta,
ich weiß nicht ob du es weißt, aber ich halte eine Menge von der Betonung eines Schwerpunkts, der sehr oft die Platzierung im "Goldenen Schnitt" bestimmt. Mag sein, dass man das unbewusst bewerkstelligt, aber in deinem Gedicht stehen zwei Verse (ein struppiger Mann, der unter Brücken schläft) im Goldenem Schnitt. Ich erspare mir eine detaillierte Darlegung, sag dir stattdessen, wie ich den GS finde: Ich zähle die Anzahl der Verse (bei dir sind es 27), multipliziere sie mit der Zahl 0,618 und komme bei dir auf ca. 16/17. Vers. Das Ergebnis sind die beiden oben genannten Verse. Ich selbst benutze dieses Gestaltungsmittel bewusst (nicht immer, aber oft bei mir bedeutsam erscheinenden Gedichten). Daher mein Gefühl, dass der unter Brücken schlafende struppige Mann in den Schwerpunkt der Betrachtung schlüpft. Liebe Grüße, Heinz |
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