Zukunft 1
Zukunft 1
Das Fenster im ersten Stock ist sperrangelweit offen. Starrt wie ein aufgerissener Mund, rektangulär aus dem Gesicht des Hauses. Brüchiger Anstrich entblättert in bleichem Grün das nackte Holz der Fensterflügel – das Versprechen eines Herzversagens oder zumindestens einer temporären Herzinsuffizienz für ambitionierte Streichergesellen. (Gibts die noch?)
Man hat den Eindruck, dass den Okkupanten das summende Geschmeiß im Haus erwünscht ist, denn: Das Fliegengitter hat Löcher an diversen Stellen. Wie der drahtene Schleier einer verrotteten Do-it-yourself-Markt-Werbe-Braut. Zerfransten Gardinen, an deren Pflegeempfehlungs-Etiketten sich die residenten Nager bereits vor Dekaden delektierten, schämen sich schmutzstarrend im Wind.
Vor dem Fenster duften zwei ältliche Sommerlinden in verwesender Blüte vor sich hin. Myriaden von ausgebeuteten Honigarbeiterinnen versummen die Luft mit Geräuschen, die an den fernen Kampfeinsatz von Helikoptern in einem schon vor eternen Epochen ausgetragenem Vernichtungsepos erinnern.
Das Gefieder der beiden noch nicht zu den ausgerotteten Vogelarten zählenden Gattungen brummzwitschert mit rauen Kehlen vom Himmel. Es ist ein Vorbeigleiten das kaum mehr zu bewundern ist. Die Flügelspannweite der radiologierten Spatzen beträgt 12 Meter. Also wirkt gewaltig, fast furchteinflößend. Doch wovor soll man sich hier noch fürchten? Der rötliche Himmel hatte schon vor lange vergessenen Tagen aufgegeben himmlisch zu sein. Reduziert auf einen schmutzigroten matt-szintillierenden Spatzendom.
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