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Internationale Gedichte Sämtliche nicht-deutschsprachige Gedichte. |
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01.04.2023, 10:40 | #1 |
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Kohlrübenjahre
Nu ham wa ihn, den prima Weltkriech.
Mensch, Vata, mit een Been humpelt et sich doch ooch nich schlecht. Mutta kocht Rüben, die Rieke steht beim Bäcker an. Die Kleenen an Muttans Rock sind Neese. Vata passt Obacht uff’n Schutzmann, derweil ick, Stammhalter und mopsfidel, mit treuem Blick und jutem Jewissen Feuerholz klauen jeh. Vata, ick weeß nich, warum det allet so weiterjeht. Die ham, mein Junge, sachta, ehm noch nich janz zu Ende jesiecht. Sacht Vatan und weent. Wissen will ick: Wer hat die jerufen? Die ham wa doch jarnich jebraucht. Und wenn uns Muttan die Rüben ufftischt, ick wie een leeret Fass über de Dielen polter, denn weeß ick: Mir hat noch keen Schornstein jeroocht. Irjendwann, sacht Vata Leubel, denn jagen wir det janze Pack zum Deubel. Da, wo et hinjehört. Und det hatta beschwört. 2.8.14 Hallo Friedrich, leider habe ich nur noch drei Dialektgedichte gefunden. Hier ist eines. Rumpelstilz |
02.04.2023, 11:27 | #2 | ||
Liebe Rumpelstilz,
Dein Dialektgedicht gefällt mir ausnehmend gut. Es zeigt, wie die ganz normale Berliner Arbeiterfamilie sich während der Endphase des des Zweiten Weltkriegs mit den prekären Lebensumständen arrangiert und dabei ihren (Galgen-)Humor nicht verliert. Zitat:
Zitat:
Auch der Dialekt ist ein Kulturgut, das erhalten werden sollte. Inzwischen beherrschen ihn immer weniger Leute. Und nicht nur das. In Frankfurt kann man schon froh sein, akzentfreies und grammatikalisch korrektes Deutsch zu hören (Gehst Du Bus? Keine Geld, keine Auto), Lieber Gruß Friedrich |
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02.04.2023, 13:14 | #3 |
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Kohlrübenjahre
Lieber Friedrich,
kleine Korrektur: Es geht um den ersten Weltkrieg, nicht um den zweiten, da waren die Kohlrübenjahre, bekanntlich gab es da eine Hungersnot, vor allem in der ärmeren Bevölkerung, und da griff der Staat zur Kohlrübe. Da war alles aus Kohlrübe, sogar versetzt im Brot. Und das hing mit der britischen Kontinentalsperre gegen Deutschland zusammen, die jede Lebensmitteleinfuhr verhinderte. Außerdem pfiff Deutschland sowieso auf dem letzten Loch. Die Männer, die sonst in der Landwirtschaft arbeiteten, waren zudem größtenteils "im Felde". Was aber den Berliner Dialekt angeht, so halte ich ihn auch für äußerst wichtig. Wenn ich mit der Straßenbahn fahre, höre ich um mich herum mindestens 3 bis 4 Fremdsprachen ins Smartphone, die ich nicht verstehe. Zudem haben wir sehr viele Schwaben in Berlin. Und alle können kein Berlinisch, sondern schwäbeln. Außerdem wird es als "unfein" betrachtet, wenn einer so richtig berlinisch loslegt. Wobei ich festgestellt habe, dass in Westberlin tatsächlich viel türkisches "Deutsch" gesprochen wird, in Ostberlin habe ich das nur in ganz wenigen Fällen erlebt. Manchmal mache ich mir den Spaß und berlinere beim Einkaufen bei Aldi. Die Kassiererin kuckt dann immer interessiert hoch und zum erstenmal ihre Kundin an. Berlinisch wird langsam zur Rarität. In der Familie berlinern wir grundsätzlich, obwohl ich meinen Gören das Hochdeutsche verordnet hatte. Sie können es so wenigstens dann, wenn es gebraucht wird, mit ungeschminkter Schnauze sprechen. Es kommt noch so weit, wie das zum Beispiel im Spreewald gemacht wird, dass wir Sprachlehrgänge in Berlin brauchen, damit heute noch berlinische Literatur verstanden werden kann. Aber hast du alles in dem Text dir übersetzen können? Danke fürs Reinsehen. Lieben Gruß, Rumpelstilz |
02.04.2023, 19:57 | #4 | |||||||
Liebe Rumpelstilz
Zitat:
Was mich an den zweiten Weltkrieg denken ließ, sind folgende Stellen: Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Lieber Gruß Friedrich |
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03.04.2023, 08:02 | #5 |
Ich finde Berlinerisch jetzt nicht so schwer.
Bis auf „Neese" habe ich auch alles verstanden. |
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03.04.2023, 08:23 | #6 |
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Kohlrübenjahre
Lieber Friedrich,
ja, das hat mir mein Vater, Jahrgang 1920, auch erzählt, dass sie öfter mit knurrendem Magen mehrere Tage blieben an der Front. Aber Schnaps gab es immer, sagte er, da hatten sie den Hunger nicht so gemerkt. Das Schlimme am Krieg sind ja nicht nur die Toten, sondern auch die Lebenden, die völlig verroht aus dem Krieg zurückkommen. Heute wird von posttraumatischen Belastungsstörungen gesprochen. Noch nich janz zu Ende jesiecht - über den ersten Weltkrieg bin ich nicht so genau informiert wie über den zweiten. Da weiß ich nur aus der Literatur und einigen Sachbüchern Bescheid. Damit will der Vater dem Jungen erklären, dass er nicht an den Sieg glaubt, dass aber die Propaganda, und die war genauso stark wie heute, dies immer verkündete. Der erste Weltkrieg, das waren ja größtenteils Grabenkämpfe, ein Sieg war Illusion. Erst als die USA in den Krieg eintraten, änderte sich dies. Die ham wa doch jar nich jerufen - im ersten Weltkrieg bestimmte das Militär die gesamte Politik auch des Landes. Ihre Namen waren in der Öffentlichkeit immer präsent. Damit sind die Militärs gemeint. Natürlich war der Kaiser die oberste Instanz, und der "unpolitische kleine Mann" blickte zu ihm auf, während Adel, Junker und Militär da oftmals eine eigene Meinung hatten, den Kaiser aber respektierten, weil sie von dem System lebten. Der Respekt ließ aber besonders nach, als sich die deutsche Niederlage abzeichnete. Bekanntlich musste der Kaiser ja abdanken besonders auf Betreiben des Militärs. Und bekanntlich gab es im November 1918 die Novemberrevolution, ausgehend von den Matrosen der Kriegsschiffe, die zum Untergang verurteilt worden waren von den Militärs. Neese sein (Nase sein) - bedeutet, sie bettelten die Mutter um Essen an, aber die hatte nichts, also konnte sie ihnen nichts geben, sie waren "Neese". Die Lage der Kinder der armen Bevölkerung war im ersten Weltkrieg schrecklich, besonders in den Großstädten. Damals begann auch schon das Hamstern auf dem Lande, das dann nach dem zweiten Weltkrieg seine Blüte erlebte. Ich kenne die Zahlen nicht der Kinder, die gestorben sind. Heute wird gesagt, die spanische Grippe war am Tod der Zivilisten schuld, aber das stimmt nur zum Teil, es gab viele Hungertote. Zum Schluss gab es kaum noch etwas, die Schieber machten große Geschäfte, die wenigen Lebensmittel waren größtenteils aus "Ersatzstoffen" hergestellt. Allerdings ging man nicht so weit wie heute, dass den Lebensmitteln Insekten beigemischt wurden. Hitler wollte dann im zweiten Weltkrieg die Hungersnot verhindern, und die Lebensmittel wurden rationiert, wozu Lebensmittelkarten und für Kleidung Kleiderkarten eingeführt wurden. Ich kann mich zwar nicht an das genaue Jahr erinnern, wielange es in der DDR Lebensmittelkarten für ein paar bestimmte Lebensmittel gab, Grundnahrungsmittel ausgeschlossen, aber bis in die fünfziger Jahre muss es gewesen sein. Ich glaube, bis 1958, bis zum V. Parteitag der SED, quasi die Überbleibsel aus dem Krieg. Ich hoffe, ich habe dir nichts Falsches geschrieben. Lieben Gruß, Rumpelstilz |
03.04.2023, 10:48 | #7 |
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Kohlrübenjahre
Liebe Silbermöwe,
schön, dass du reingesehen hast. Nee, Berlinisch ist nicht schwer zu verstehen, zumal es sich allerhand aus anderen Dialekten, vor allem aus dem sächsischen, zusammengeklaut hat, aber auch aus dem Plattdeutschen. In Brandenburg wurde noch bis hinein zu Anfang der 20er Jahre teilweise plattdeutsch gesprochen, vor allem in den Dörfern. Danach sickerte das Preußische mehr und mehr ein, und heute berlinern die Brandenburger genauso wie die Berliner. Lieben Gruß, Rumpelstilz |