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26.11.2008, 23:54 | #1 |
Die Wolkenbasis
Wenn im Frühling nach dem Durchzug einer Schlechtwetterfront der Morgentau auf
den saftigen Wiesen liegt und der blaue Himmel wieder sichtbar ist, wenn die aufgehende Sonne die Tautropfen in den Farben des Regenbogens schimmern lässt und eine leichte Brise aus Nord bis Nordwest durch das frische Laub der Bäume säuselt, wenn die Luft so klar und sauber ist, dass man meint, man könnte von einem Ende des Horizonts zum anderen springen, dann läuten bei uns Fliegern die Alarmglocken. Dann packt uns die Sehnsucht nach der Wolkenbasis, nach jener erhabenen Einsamkeit, die unsere Väter und Ahnen jahrhunderte- und jahrtausendelang erträumt und erhofft haben. Mit einem motorlosen Fluggerät - sei es Drachen oder Segelflugzeug - allein durch eigenes Können mit den ungezähmten Kräften der Natur hoch über den Startplatz hinaufzusteigen, die Welt im blauen Dunst versinken zu sehen und schließlich - von den Aufwinden getragen - die Wolkenbasis zu erreichen, stundenlang ganz mit sich alleine über den Bergen, Äckern und Wiesen der Heimat dahinzugleiten, dieses Erlebnis und Privilleg ist es, das die Persönlichkeit eines Segelfliegers prägt und verändert. Solche herrlichenFlüge, bei denen man tausende Meter über den Start steigen, weite Strecken zurücklegen und wieder am gewohnten Platz landen kann, sind nur bei passenden Wetterlagen möglich. Für jeden Thermikflieger ist so ein Flug ein unvergessliches Erlebnis, von dem er oft noch Jahre später begeistert zu erzählen weiß. Viel zu oft treten diese Wetterlagen werktags auf, wenn wir arbeiten müssen. Einem Segelflieger geht es in dieser Situation wie einem Vogel, der im Käfig sitzt und zu den Wolken hinaufschauen muss. Ein Nichtflieger kann sich daraus nur schwer einen Begriff machen, aber ein Gleichtesinnter wird ihn verstehen. Der berühmte Segelfluglehrer Winfried Kassera schrieb einmal in seinem Buch "Der lautlose Flug": "Das Gefühl eines Segelfliegers, der an einem guten Tag am Boden bleiben muss, ist am ehesten mit einer Mischung aus Heimweh und Liebeskummer zu vergleichen." Unzählige Beziehungen sind schon in die Brüche gegangen, weil unser Sport nicht mit anderen, familiären Freizeitbeschäftigungen vereinbar ist. Er fordert den ganzen Menschen und das den ganzen Tag über. Wen einmal die Leidenschaft für das ruhige Gleiten an der Wolkenbasis gepackt hat und das Verlangen, Gott näher zu sein als jeder Pfarrer, den wird das Virus der motorlosen Fliegerei sein Leben lang nicht mehr loslassen. Immer dann, wenn er am blauen Frühlingshimmel eine Cumulus-Wolke entdeckt, wird er mit sehnsüchtigem Blick hinaufschauen, wo er einmal gewesen ist und wohin er jetzt so gerne zurückkehren will: Zur Wolkenbasis, in das Land seiner Träume, das irgendwo dort oben in der blauen, menschenfeindlichen Einsamkeit liegt |
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