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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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08.10.2017, 20:40 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Der erste Brief im Gelben Elend *)
Oh, welche Lust war es für mich, in freier Luft
zu atmen, Blumenpracht und zarten Blütenduft in vollen Zügen zu genießen, Sonnenglut und Windeshauch auf nackter Haut zu spüren, in lauen Nächten voller Jugendübermut manch leichtgeschürztes Mädchen zu verführen. Mit Bacchus und Amor im trauten Verein, da hab ich getrunken, geliebt und gesungen, ich nippte so gerne den funkelnden Wein, mehr lauter denn schön hat mein Liedchen geklungen. Aus und vorbei, zu gewagt war der Flug, krachend der Sturz und zerschmettert die Schwingen. Leichtsinn beendete Lug und Betrug - Damokles Schwerter mit blitzenden Klingen schwebten bedrohlich und nahe der Kehle; waidwund und wimmernd mit angstvoller Seele litt ich allein in dem grauen Gemäuer. Alles, was lieb mir gewesen und teuer, Freiheit und Freude am Leben - verschwunden, sagt mir, wer wagte mich so zu verwunden? Vierzig Albtraumnächte sind vergangen, graue tränenreiche Tage reihten sich aneinander. Ich gewöhnte mühsam mich an die endlos quälenden und langen Stunden voller Frage-Antwort-Spiele, konnte immer besser die Gefühle auf ein Mittelmaß justieren, nahm mir vor, den Rest von Stolz nicht zu verlieren. Ein goldner Oktober bescherte mir sonnige Stunden, ich hatt' im ummauerten Käfig vier Blätter gefunden: Inmitten des Herbstbrauns war restliches Grün noch zu sehen, hab Dank, weiße Birke und Dank auch dem Wind für sein Wehen! In trüben Zeiten blühte heut ein Feiertag: Auf meinem Tisch ein Brief der Liebsten lag. Ach, könnt ich vergolden die zierlichen Zeilen, ich fraß sie wie Nurmi einst Dutzende Meilen und las sie dann nochmal und tränengeblendet verschwamm mir der Blick - unendliches Glück - dann hab ich das Blättchen gewendet, da standen die Grüße - unsagbare süße - der besten der Töchter, dem besten der Söhne, drei Küsschen mit Lippenrot unter die Namen gedrückt, ich spürte die Liebe und hörte die himmlischsten Töne und küsste den Brief und ihr denkt nun, jetzt wird er verrückt. Verrückt, ja, das war ich, ver-rückt in die Welt, in die Zeit voll menschlicher Wärme und trauter wie teurer Geborgenheit. *) "Gelbes Elend" -so wurde das Stasi- Zuchthaus in Bautzen genannt Geändert von Heinz (09.10.2017 um 00:08 Uhr) |
08.10.2017, 20:49 | #2 |
Forumsleitung
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Klasse!
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08.10.2017, 21:18 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo Ilka-Maria,
ich bedanke mich ganz artig für Deinen Kurzkommemtar. Gruß, Heinz |
08.10.2017, 21:44 | #4 |
Forumsleitung
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Kürzer ging es leider nicht. Länger auch nicht.
Ich muss erst mal genügend Spucke sammeln, um die Sprache zu schmieren, die mir beim Lesen deines Gedichtes versagte. Nebenbei: Schön, dass du wieder hier bist. |
08.10.2017, 23:16 | #5 |
Auch von mir Heinz: klasse. Mir gefielen besonders die nicht feste Form der Strophen und die wechselnden Zeilenlängen. Beeindruckend.
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08.10.2017, 23:23 | #6 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Liebe MiauKuh,
dass Du mir zutraust ein Gedicht im gleichen Versmaß zu schreiben, unterstelle ich Dir mal. Zu dem Gestaltungsmittel der unterschiedlichen Verslängen und unterschiedlicher Versfüße habe ich mir Absicht gegriffen. Danke für Dein Lob! Liebe Grüße, Heinz |
09.10.2017, 07:40 | #7 |
Lieber Heinz,
auch mir blieb beim Lesen dieses Gedichtes die Spucke weg. Beeindruckend und berührend. Ich freue mich auch, dass du wieder da bist! LG DieSilbermöwe |
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09.10.2017, 08:12 | #8 |
Hallo Heinz!
Bei den ersten Zeilen dachte ich noch: "Oh nein... Blumenpracht, Baccus, Amor..." Aber dann: DAS ist Kunst! Und das auch noch in handwerklich perfekter Form! Beeindruckte Grüße, k |
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09.10.2017, 08:32 | #9 |
Gast
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Re: Der erste Brief vom Gelben Elend*)
Lieber Heinz,
ein wunderbares Gedicht! WIRKLICH KLASSE! LG HHK |
09.10.2017, 08:34 | #10 | |
Zitat:
natürlich traue ich dir das zu! Was ich gestern im Handy beim schreiben nicht vermochte auszudrücken war: Bei variierenden Versfüßen und Verslängen so ein Werk hier hinzulegen, da gehört viel können dazu. Ein Dichtungsvermögen, das ich nicht mehr zweifelsfrei beurteilen, sondern nur noch bewundern und als sehr weit entwickelt sehen kann. (Ich erdreiste mich doch, einen Vorschlag zu machen: mehr lauter als schön <--> mehr lauter denn schön (wegen dem ss)) So, der Bauchpinsel wird weggelegt und ich greife nachher selber zum Stift ... hoffe ich ... ;-) |
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09.10.2017, 08:35 | #11 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Hallo klaatu,
genau das war beabsichtigt - erst ein bisschen Trallalla und Hoppsassa - dann der Absturz in eine reichlich bedrückende Realität, deren Beschreibung sich aber nicht in Wehklagen erschöpft, sondern Raum für Hoffnungen lässt. Wie ungeheuer wichtig dann handgeschriebene Briefe sind (von Internet/Telefon und ähnlichen technischen Errungenschaften konnten wir nicht einmal träumen), kommt hoffentlich rüber. Schön, dass ich Dich beeindrucken konnte und - danke für Dein Lob. Liebe Grüße, Heinz |
09.10.2017, 10:50 | #12 |
R.I.P.
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Hallo, Heinz -
ja, das hat was. Kennt man den Hintergrund, ist jeder Vers noch bedeutender.
Bei der ersten Lektüre glaubte ich: Stolpern!! Danach wurde Amor wieder platztauglich gekürt. In das lautschallende Entzücken stimme ich nicht ein, weiß ich doch, daß Du alle Gedichtarten sozusagen aus dem Ärmel schütteln kannst. Hier paßt alles, jeder Vers ist wohldurchdacht und bringt seine Botschaft deutlich an den Leser/sie Leserin. Ergo: Hier nichts für ungut. Freundliche Grüße von Thing |
09.10.2017, 16:47 | #13 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Hallo Silbermöwe,
vielen Dank für Deine liebenswürdigen Zeilen! Es gab ein paar "Hemmnisse" und so richtig weg war ich nicht - nur an einem anderen Ort. Liebe Grüße, Heinz |
09.10.2017, 17:03 | #14 |
Dabei seit: 10/2006
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Beiträge: 7.879
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Hallo Dr. Karg,
dass Du mich trotz gelegentlicher Kritik an Deinen Werken lobst, zeugt von erwachsener Gelassenheit. Merci! Heinz Hallo Thing, "lautschallendes Entzücken" - das muss ja auch nicht sein. Das "aus dem Ärmel schütteln" mag auf das eine oder andere Gelegenheitsgedichtchen zutreffen, bei etwas tiefer gehenden Gedichten brauche ich mehr als einen Ärmel. Bei diesem Gedicht habe ich nach einer Diskussion mit einem anderen Schreiberling den Titel geändert, sonst wären bei unverändertem Text Fehlinterpretationen ent-standen. Hab Dank für das Lesen und Kommentieren. Heinz Liebe Miaukuh, wo Du Recht hast, hast Du Recht! Vielleicht hat Ilka-Maria die Güte aus dem "als" ein "denn" zu machen. Du "erdreistest" Dich? Um Gottes Willen, mach den Stuhl, auf dem ich sitze, nicht zu hoch - dann baumeln die Beine und die Füße haben keinen festen Halt. Liebe Grüße, Heinz |
09.10.2017, 17:42 | #15 |
Forumsleitung
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09.10.2017, 21:27 | #16 |
Dabei seit: 10/2006
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Merci!
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