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12.05.2017, 12:01 | #1 |
Am Boden (Linoleum)
Stöhnend und schluchzend lag der Mann auf dem Linoleumboden im Flur, während seine Kolleginnen und Kollegen beschlossen hatten, ihn hinter geschlossenen Bürotüren zu überhören. Er hatte sich eingerollt wie eine Zimtschnecke und zitterte am ganzen Körper.
Als sich eine der Türen öffnete, zuckte er kurz zusammen und drückte sein Gesicht fest auf den nach Chemikalien und den Achtziger Jahren riechenden Fußboden. Schritte kamen zögerlich näher. Dann die Stimme einer Frau: Freundlich, fast großmütterlich. Ein Ton, der so in diesen Räumlichkeiten bislang noch nicht zu hören gewesen war. „Was ist denn los?“, fragte die Stimme mitfühlend. „Sie armer Kerl, was haben Sie denn?“ Der Mann hob den Kopf und krampfte dabei zusammen, als hätte ihn eine Welle scharfer Schmerzen erfasst. Er blickte sie mit Augen an, die aussahen, als wollten sie aus den Höhlen fließen wie Eidotter. „Ich habe…“, begann er mit bebender Stimme. „Ich habe… Skrupel!“ Die ältere Frau schauderte, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen. Ihre Stimme blieb unverändert freundlich und mitfühlend. „Sie armer Kerl…“, gurrte sie und strich dem Mann auf dem Boden zärtlich über das Haar. Er begann hemmungslos zu weinen. Sie drückte ihn mit einer Hand an ihre schlaffe Brust, während sie mit der anderen einen altmodisch aussehenden Brieföffner hinter ihrem Rücken hervorholte. Er war lang und spitz. Sie rammte ihn - immer noch freundlich schauend - in den Hals des Mannes. Einmal, zweimal, dreimal. Der Mann schrie nicht, er sah nur weiterhin hilfesuchend hoch zu der Frau, während ihm Tränen über das Gesicht liefen, um sich mit dem Blut auf seiner Brust zu vermischen. „Sie armer, armer Kerl…“, sagte die Frau noch einmal und während ihr das Blut über die Finger lief, dachte sie daran, wie gut es doch war, dass Linoleum so einfach zu reinigen ist. |
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21.05.2017, 10:54 | #2 |
abgemeldet
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Grausam, klaatu. Ich schick dir einen Sonnenstrahl.
LG Letreo |
21.05.2017, 11:37 | #3 |
Hallo klaatu,
diese düstere Geschichte finde ich sehr gelungen. Skrupel ist nicht erlaubt und mitfühlende Töne sind in der geschilderten Umgebung unbekannt. Ich finde den Text von vorne bis hinten stimmig und konsequent. Der nicht mehr funktionierende Mitarbeiter wird erst ausgesondert, dann beseitigt. Die Beschreibung der Eidotter-Augen gefällt mir, klingt für mich innovativ. Eine Kleinigkeit hat mich stocken und mehrfach den entsprechenden Abschnitt lesen lassen: Ich hätte eher erwartet, dass sich Blut und Tränen auf ihrer Brust mischen. Er liegt zusammengekrümmt. Das ändert sich auch nicht, als sie seinen Kopf an ihre Brust zieht. Vielleicht hattest du aber einfach ein anderes Bild von der Positionierung der beiden Personen vor Augen. Wie wäre es, wenn die Frau noch eine Lack-Kombi verpasst bekäme? Schließlich ist nicht nur Linoleum leicht zu reinigen. Freundliche Grüße von Stachel |
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