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Alt 20.08.2012, 08:06   #1
männlich Desperado
 
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Standard Syphillis

Syphillis

Sein Hirn beginnt sich aufzulösen, in klebriger Soße zu schwimmen wie ein verfaultes Stück Fleisch.

Das einsetzende Endstadium dieser Krankheit, er hat noch ein gutes Stück Weges vor sich, kann noch ein Weilchen dauern, bis sich das Stammhirn zersetzt. Um endlich sein Sprachzentrum mattzulegen, das ganze Lazarett, Patienten wie Personal, wartet sehnsüchtig auf diese Endphase, in der seine unflätigen Beschimpfungen gegen alles und jeden zu aller Erlösung in unverständliches Brabbeln und Lallen übergehen.

Erste Ansätze sind schon zu beobachten, bisweilen verhaspelt er sich in unverständlichen Wortbrocken und ergißt sich in einem Schwall aus wirrem Gestammel, immer noch dreckig und hässlich genug, um in den Ohren zu schmerzen, doch diese untrüglichen Vorzeichen lassen das gnädige Ende immerhin in Sichtweite heranrücken und sein Verstummen wird –fast möchte man sagen Gott sei Dank- nur noch eine Frage absehbarer Zeit.

Dreimal sei er dem Totengräber schon von der Schaufel gesprungen, tönt er mit stolzgeschwellter Hühnerbrust durch den Saal, was flennt ihr Jammerlappen rum wie alte Waschweiber, und erwartet ehrfürchtiges Verstummen von den Schwerstversehrten, die es da in seiner Gegenwart wagen, sich flüsternd mit dem allgegenwärtigen Tod zu beschäftigen, dreimal, was für ein verschwindendes Nichts, kein Wunder, das er nichts und nochmal nichts begriffen und draus gelernt hat. Aber zum Lernen ist es für ihn ohnehin längst zu spät, und ob er je irgendwas begriffen hat, dürfte ohnehin äußerst fragwürdig sein.

Er erinnert mich schmerzlich an die Kerle in den Kriegslazaretten, die den Beinamputierten vorklagten, dass sie einen Splitter in die Wange abgekriegt haben.

Alles was da sonst so von ihm kommt aus seiner bewegten Biographie, sind zotige Weibergeschichten, in denen er seine Schlampen, denen er sein Missgeschick verdankt, entweder zu ruchlosen Huren oder einfältigen Kretins herabwürdigt, er steht natürlich immer als der große allzeitbereite Obergockel auf dem Misthaufen und kräht seine Manneskraft allen Anwesenden in die Ohren, ob die’s nun hören wollen oder nicht. Das nennt er dann Dichtkunst, ab und zu vergreift er sich sogar an dem schönen Wort Poesie, aus seinem eitrigen und fauligen Mund klingt sogar das schmutzig, liegt vielleicht auch an der modrigen Fahne, die er mit jedem Atemstoß im Raum verteilt, es riecht Tag und Nacht nach Kloake und Latrine.

Wohl kann er noch lesen, versteht aber die Bedeutung dessen, was er da liest, nicht mehr, so dass es für ihn keinen Unterschied macht, ob du ihm die Bibel zur Lektüre vorlegst oder die Krankenliste, alles ist Schund und minderwertige Geistesverschmutzung, was sich vor seinen trüben Augen an Buchstaben tummelt, deren Inhalt sich seinem aufgeweichten Hirn nicht mehr erschließt und dessen Aussage für immer verloren gegangen ist.

Was dann da so im Einzelnen aus seinem Innern qwillt, wabbert und schlackt an groben Gemeinheiten, derben Geschmacklosigkeiten und wüsten Beschimpfungen, will ich mal in diese erträglichen Umschreibungen verpackt und unter ihrer Umhüllung verschlossen lassen, die wortgetreue Wiedergabe auch nur einer Silbe davon wäre eine Zumutung und außerdem so überflüssig wie das Hervorgestoßene selbst.

Eine schreckliche Krankheit, ohne jeden Zweifel, aber bei aller Menschenliebe werde ich das unbestimmte Gefühl nicht los, wenn ich seinen Abscheulichkeiten und Abartigkeiten so lauschen muss, dass er sich die Syphillis nicht nur eingehandelt sondern sogar redlich verdient hat, mag möge Nachsicht üben mit meiner Mutmaßung.

Inzwischen schmort er sowieso längst in der Hölle, also was soll’s, sollen ihm die Teufel lauschen, denen gefällt sowas, da hat er dann endlich das Publikum, das er für seine Selbstbeweihräucherung braucht. Allerdings hasst der Teufel den Weihrauch, was ich so gehört habe.

Naja, die werden schon irgendeine zufriedenstellende Lösung finden dort unten, das muss nicht mehr meine Sorge sein.
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