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26.06.2011, 19:24 | #1 |
Forumsleitung
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Hunger
Schon wieder so ein Fraß: Eintopf aus Reis, Bohnen und Proteinen. Die Proteine sind tote Käfer. Sie knacken zwischen den Zähnen, weil man sie durch Kochen nicht weich bekommt oder sich nicht die Zeit nimmt, sie lange genug weich zu kochen.
„In meiner Heimat haben sie auch nix zu Fressen“, sagt mir mein Gefängniswärter. „We all lost the war.“ Aber damit finden wir uns nicht ab. Wir sind jung und haben Hunger. Wir sehen uns in die Augen und sind uns einig, und wie im Chor nehmen wir die Fraßteller mit dem Reis, den Bohnen und den toten Käfern und klatschen den Inhalt an die Wand. Am nächsten Tag bekommen wir anständig zu essen. Nichts Hotelfähiges, auch nichts aus Mutters Küche, aber sauberes, anständiges Essen – mit Proteinen, aber ohne tote Käfer. Wir sind die Verlierer. Trotzdem geht es uns nicht schlecht. Die Tommys behandeln uns gut, wir dürfen Gitarren bauen und Schachfiguren schnitzen, und sie bewundern uns sogar für unsere Talente. Und sie spielen mit uns Fußball. In einem englischen Lager Kriegsgefangener zu sein, ist ein großes Glück – nicht auszudenken, wäre ich in russischem oder französischem Gewahrsam. Nur weiß ich nicht, wie lange dieses Glück dauern wird, wann ich endlich nach Hause darf. Ich habe Hunger. Ich gehe die Baracken durch. „Ist hier einer aus Offenbach?“ Endlich Antwort. „Ja, ich, was willst Du?“ „Ich habe Hunger.“ Er ist wesentlich älter als ich, er könnte mein Vater sein. „Hier, mein Jung‘.“ Er hat Brot. Er bricht es und gibt mir die Hälfte davon. Jeden Tag. Ilka-M. 26. Juni 2011 |
26.06.2011, 19:44 | #2 |
R.I.P.
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Erinnert mich mit umgekehrten Vorzeichen an "Das Brot" von W. Borchert.
Eine sehr positive Darstellung des Zusammengehörigkeitsgefühls, das man in einer solchen Situation gar nicht erwartet hätte. Aber Ähnliches kam vereinzelt auch in den KL vor. Gut zu lesen! In jeder Beziehung. Thing |
26.06.2011, 19:49 | #3 |
Hallo Ilka,
ein realistischer Blick hinter den Stacheldraht und eine menschliche Begegnung. Manche schweißt die Not zusammen. Die englische Gefangenschaft war human. Mein Vater spielte im Lager-Theater mit und lernte noch allerlei. Es gab gefangene Offiziere, die vorher Schauspieler und Regisseure waren. Hunger erweckt in Deutschland nur noch bei den ganz Alten eine Erinnerung. Eine Scheibe pro Tag bekam meine Mutter in der tschechoslowakischen Gefangenschaft. Jede Stunde aß man ein paar Krümel, damit der Magen nicht so weh tat. Manchmal war der Rest plötzlich gestohlen. Mit Interesse gelesen. LG gummibaum |
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26.06.2011, 20:53 | #4 |
R.I.P.
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Hallo, Ilka-Maria -
fällt mir erst jetzt auf: Soll hier ein religiöser Bezug ( Brot brechen) hergestellt werden? Praktiziertes Christentum? Thing |
27.06.2011, 01:31 | #5 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Natürlich klingt hier Nächstenliebe an, vielleicht durch das intuitive Streben, die eigene Art zu erhalten. Der Altersunterschied weckt zudem väterliche Gefühle. Das alles funktioniert auch ohne Christentum. |
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