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12.12.2012, 19:50 | #1 |
Dabei seit: 12/2012
Ort: Schatten
Alter: 39
Beiträge: 15
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Das dicke Mädchen und das Internet
Nun liegt es da, den Leib verdreht, die Augen starr in den grauen, wolkenlosen Himmel gerichtet. Langsam, kaum spürbar, färbt sich der Asphalt, auf den ihr zerbrochener Leib vor wenigen Sekunden aufgeschlagen ist, mit rotem, dickem Blut. Menschen stehen um ihren massigen Leichnam und starren schweigend, fassungslos, neugierig auf ihn hinab. Was war geschehen? Was trieb das Mädchen, das niemand kannte zu einer solchen Tat?
Sie war dick, nicht hässlich, aber schwer und unbeweglich. Sie liebte es, zu lachen, doch tat sie es selten, denn die anderen ärgerten sie meist und alleine lachen kam ihr dämlich vor. Sie liebte es zu tanzen, in ihrem Zimmer, zu lauter Musik. Draußen traute sie sich nicht. Zu viele Blicke, zu viel Hass. Sie liebte das Internet, es gab ihr Freiheit. Sie stellte sich vor, schön zu sein, schön, wie die anderen. Makellos. Schlank. Sie konnte Stunden mit den Bildern schöner Frauen verbringen, sich vorstellen, wie sie zu sein, ein Leben ohne Schmach zu führen - und zu lachen, jeden Tag. Wenn sie genug geträumt hatte, ließ sie Musik laufen, und tanzte bis sie außer Atem war. Sie liebte das Leben, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass das Leben sie weniger gern hatte. Das Mädchen hatte einen Bruder. Er war jünger, wenn auch nicht viel. Er war ein Draufgänger, beliebt in seiner Klasse und berüchtigt für seinen Mut. Er hatte Spaß daran, die Schwachen zu zanken, sich beliebt zu machen, indem er andere herabsetzte. Er dachte nicht viel über die Welt, seine Mitmenschen oder sich selbst nach. Er handelte stets aus einer Laune heraus. Auch er liebte das Leben. Seine Schwester liebte er nicht. Jedenfalls dachte er dies bis zu jenem traurigen Tag, an dem sie aus dem Fenster sprang. Dabei begann alles als Spaß. Es war nachmittag, der Bruder saß in seinem Zimmer und spielte Videospiele, als er Musik aus dem Zimmer seiner dicken Schwester dröhnen hörte. "Die fette Kuh tanzt wieder.." dachte er argwöhnisch. "Findet sich hübsch, dabei ist sie hässlich wie ein Haufen Mist." Dann kam ihm die Idee. Er stahl sich aus seinem Zimmer und öffnete sanft die Tür zum Zimmer seiner Schwester, nur einen Spalt, sie merkte nichts. Er sah sie, wie sie selbstvergessen tanzte. Es widerte ihn an. Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und betätigte den Aufnahmeknopf. Er filmte sie durch den Spiegel, wie sie eine Drehung machte, schief mitsummte, die Augen geschlossen, lächelnd, selbstvergessen. Der Bruder grinste boshaft. Was dann geschah, ist schnell erzählt. Das Video landete auf youtube. Titel: "Fette Frau tanzt wie ne Sau". Gleich nach wenigen Tagen erreichte das Video Rekordstatus. Es wurde verbreitet, lief über die Monitore aller Länder, amüsierte die ganze Welt. "This fat chick is amazing!" lauteten die Kommentare. "A chubby girl saved my day. I love the internet!" Jetzt lachten sie alle, nicht nur die Schule, nicht nur die Nachbarn. Die ganze Welt lachte und das Mädchen konnte nicht mitlachen, obwohl sie es so gern wollte. Sie hörte keine Lieder mehr, sie tanzte nicht mehr, sie sah sich keine Bilder mehr an. Ihrem Bruder tat sie plötzlich Leid und er wollte sich bei ihr entschuldigen. Zu spät. Ihr Zimmer war leer, das Fenster geöffnet. Nun liegt es da, den Leib verdreht, die Augen starr in den grauen, wolkenlosen Himmel gerichtet. Das dicke Mädchen, nach ihrem letzten, einsamen Tanz. |
20.12.2012, 19:54 | #2 |
Hallo -33-,
ein wichtiges, aktuelles Thema, das du da anpackst. Gute Idee, und trotzdem hat sich bisher niemand gemeldet. Ich kann nur mal vermuten, dass es vielen vielleicht so ergangen ist wie mir. Mir war deine Geschichte (es gibt auch eine Geschichten -Rubrik) einfach zu vorhersehbar, (schon durch den Titel und die Vorwegnahme des Selbstmordes am Anfang) es fehlt jede Spannung, man erlebt sie nicht wirklich mit. Schade, da hätte man mehr draus machen können. das nächste Mal mehr Erfolg wünscht dir simbaladung |
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21.12.2012, 14:49 | #3 | |
Hallo -33-,
da hast du ein wichtiges Thema aufgegriffen, das mich jedes mal denken lässt: "Menschen sind Tauben". Tauben vertreiben andere Tauben, die "anders" sind (z.B. Albinos) von den Futterplätzen, indem sie auf sie scheißen. Was simba über die Vorwegnahme des Schlusses gesagt hat, kann man tatsächlich so sehen, aber ich finde das nicht störend. Im Gegenteil: es geht ja eher, um das wie und wieso, weniger um das was. In diesem Sinne baust du ja Spannung auf, da man zu Beginn erfährt, dass sich da ein Mädchen umgebracht hat und nun möchte der Leser wissen, warum denn nur. Und was du schilderst, hat Hand und Fuß und Herz. Sprachlich übrigens sehr schön zu lesen und völlig plastisch. Nur glaube ich, dass man das so nicht sagen kann: Zitat:
Gute Geschichte jedenfalls! LG |
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Lesezeichen für Das dicke Mädchen und das Internet |
Stichworte |
internet, mobbing, youtube |
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