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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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07.09.2021, 13:35 | #1 |
Der gute Friedrich
Seit Jahren geht er brav an Mutters Hand -
der aderblauen Kralle, hart wie Eisen. Sein Herz bricht auf zu Abenteuerreisen, sein Köpfchen weiß: Im Hemd wird nicht gerannt! Er schielt beim Kirchengang zu Seinesgleichen und sieht, wie Heinz das Pferdeleder schießt, man Rinnensud und Nasenblut vergießt, versucht dabei den Blicken auszuweichen. Oft betet er zu Gott, dass Linchen brennt und Konrad ohne Daumen steht und flennt, der Träumer Hans - verschluckt vom Teufelsmoor. Zur Bettgehzeit küsst Erna ihren Friedrich. Mit einem Mal ist sie so warm und lieblich, dann liest sie ihm den Struwwelpeter vor. |
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07.09.2021, 20:11 | #2 | ||||
Hallo Krebsgestöber
Ich finde deine Gedichte allesamt sehr Ausdrucksstark, ich habe nur hin und wieder ein paar Probleme mit den Bezügen, auch wenn diese nicht sehr gravierend sind denke ich. Ich lese die Gedichte einfach zu oberflächlich und traue mich jetzt einfach mal an einen text heran. So auch bei diesem Sonett, falls man es als eines bezeichnen kann. Soweit geht mein Wissen da nicht. Ich vermute eher dass dir die Strophenunterteilung gefallen hat und du es demnach übernommen hast? Was durchaus legitim ist. Ich bin aber der Auffassung durchaus eine These - Antithese in den Quartetten und eine Synthese in den Terzetten vernommen zu haben. Insofern ich diese drei Begriffe im richtigen Kontext zuordnen konnte. Hätte Poetry eine Farbschriftenauswahl könnte man das eventuell sogar besser hervorheben und die Verbindungen der Strophen im Bezug auf These - Antithese - Synthese vermutlich konkreter aufzeigen. Vielleicht entgeht mir auch die Option und ich bin nur zu dusselig sie zu finden. Ein Bild harscher Erziehung, alles muss seine Ordnung haben und nach Schema F ablaufen, um ja kein Aufsehen zu erregen und nicht zum Gesprächsthema oder gar Gespött zu werden. Innere Aggressionen werden sichtbar, sogar Neid und Missgunst. Zum Schluss und hinter den eigenen vier Wänden, kommt erst die Mutterliebe zum Vorschein, sie liest ihrem Sohn Geschichten vor und ist wie verwandelt. Die Geschichten die vorgelesen werden geben aber Anlass, sich als Betrachter um Friedrichs geistiges Wohl zu sorgen. Er sieht in seiner Fantasie Dinge die andere Kinder tun und stellt Verbindungen zu den ihm erzählten Märchen auf. S2/Z2 der Begriff, Pferdeleder schiessen, ist mir nicht geläufig, ich vermute es soll darstellen, das ein junge seines alters Fußball spielt? Ebenso ist mir Rinnensud nicht geläufig und Nasenblut ist eine unglücklich gewählte verkürzung, aber ich glaube es soll sich hier ums Schwitzen oder weinen und bluten handeln. Zumindest wäre es einleuchtend, da es bei Kinderspielen gerne auch mal raufereien gibt, bei denen nicht selten "Rotz und Wasser" geheult wird, wenn jemand zu schaden kommt. S3/Z1 Linchen...wer ist Linchen und warum sollte sie brennen? Ich vermute das Friedrich nicht die glücklichste Kindheit führt und oft gehänselt wird, wenn er Linchen wie eine Hexe brennen sehen möchte. S3/Z2 Konrad kann ich auch nicht zuordnen, aber hier wird mir klarer, dass Friedrich alle Märchen durchgeht und jedem Kind eine Rolle in den Märchen zuzuordnen. Ich glaube die frage wer die anderen Kinder sind erübrigt sich mir tatsächlich, weil es einfach Kinder sind die Friedrich nicht mag und denen er nichts gutes wünscht. Erste Strophe - These/Behauptung Zitat:
xXxXxXxXxXx xXxXxXxXxXx xXxXxXxXxX a-b-b-a Mir gefällt das Bild der aderblauen Kralle sehr, es zeigt wunderbar die strenge der führenden Hand und die Ordnung die herrscht wird durch das Hemd noch mal hervorgehoben. Und dennoch, die Gedanken sind und bleiben frei. zweite Strophe - Antithese/Gegenbehauptung Zitat:
xXxXxXxXxX xXxXxXxXxX xXxXxXxXxXx a-b-b-a 5 hebiger Jambus wie zuvor in Strophe 1, allerdings haben sich hier die Kadenzen geändert zur vorherigen Strophe, obwohl die Reimgebung weiterhin umarmend bleibt. Erste Terzette - Synthese Zitat:
xXxXxXxXxX xXxXxXxXxX a-a-b zweite Terzette - Synthese mit Conclusio Zitat:
xXxXxXxXxXx xXxXxXxXxX c-c-b bzw ebenfalls a-a-b Anhand des Metrums wirkt auf mich alles sehr stimmig, gerade durch die Gegensätze innerhalb des Kontextes und es unterstützt angenehm das Lesen, allerdings fällt mir auf, dass das Ende S4/Z3 metrisch eher nicht weich anmutet, sondern eher einem harten Schnitt gleichkommt, als würde hier die Quelle allen Übels verdeutlicht werden wollen. Was ebenfalls sehr gut ins Gesamtbild passt. Die Märchen als Auslöser für Friedrichs aggressive Fantasien darzustellen finde ich sehr gelungen. Vor allem im Bezug auf die damit einhergehende Unterdrückung durch die strenge Hand der Mutter. Sehr gerne gelesen LG Mono |
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07.09.2021, 21:52 | #3 |
Hey MonoTon
schau mal hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Struwwelpeter
Krebsgestoeber schreibt es doch auch in der letzten Zeile, welche Kids er auf dem Kieker hat. Der Konrad lutscht am Daumen und verliert ihn dann per Scherenschnitt, (Pau)Linchen spielt mit Feuerzeugen und verbrennt, während Hans-guck-in-die-Luft sich selbst ins Wasser träumt. Nur der Protagonist ist bei Heinrich Hoffmann nicht der gute, sondern der böse Friedrich. Das ist seltsam ... Schönen Abend euch wünscht Epilog |
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07.09.2021, 21:52 | #4 | ||
Forumsleitung
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Guten Abend, Krebsgestoeber,
du lässt uns an einem originellen Gedicht teilhaben. Der erste Eindruck nach dem Lesen: Die Geschichten des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann sind immer noch lebendig. In deinem Gedicht fasst du sie zusammen, stülpst ihnen sozusagen dein eigenes großes Bild über, indem du Friedrich zu dem Protagonisten machst, der die anderen Figuren der Geschichten in seiner Lebenswelt beobachtet, sie sozusagen zu seinen Objekten macht. Das ist der Aufbruch in seine Abenteuerreise. Die Geschichten stehen nicht mehr in sich geschlossen nebeneinander, jede auf eine moralische Lehre ausgerichtet, sondern sie spielen sich als Einheit im Kopf oder im Erleben des kleinen Friedrich ab. Das ist - wie bereits gesagt - originell. Dennoch: Die beiden letzten Verse - die Dreizeiler in dem als Sonett aufgebauten Gedicht - zeigen Schwächen. Zitat:
Oft betet er zu Gott, dass Linchen brennt, Zitat:
Das funktioniert aber leider nicht. Deshalb wirst du nochmal daran arbeiten müssen, damit die Strophe bei Friedrichs Pespektive bleibt. Sie könnte enden mit dem Satz: "... lies mir nochmal den Struwwelpeter vor." Wenn du das geschafft hast, kannst du mit einem richtig, richtig guten Gedicht aufwarten. Du hast nämlich das Zeug, eigene Bilder lyrisch darzustellen. Ich hoffe, dich ermutigt statt entmutigt zu haben, trotz der Strenge, die sich in meinem erhobenen Finger hochzustrecken scheint. Wenn du hinter deinem Text stehst und ihn deshalb verteidigen wirst, ist das für mich völlig akzeptabel. Das letzte Wort hat immer der Autor. |
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09.09.2021, 23:09 | #5 |
Hey MonoTon,
vielen Dank für deine profunde Analyse! Deine Deutungen sind treffsicher und deine Stolperer nachvollziehbar. Ich habe mich deshalb noch mal hintergeklemmt. Lieber Epigon, stimmt, ich wollte hier auch auf den bösen Friederich, das einzig wirklich böse Kind im Buch, anspielen. Aber dass es dich und Ilka irritiert hat, kann kein Zufall sein, deshalb habe ich es in meiner Überarbeitung gestrichen. Liebe Ilka, vielen Dank für deine Interpretation - deine Lesart der Abenteuerreise als Leitmotiv gibt dem Gedicht eine Tiefe und Originalität, die nicht allein mir zu verdanken ist. Besten Dank auch für die hilfreichen Verbesserungsvorschläge! Ich hoffe doch, eure Mühen haben sich gelohnt! An Mutters Hand Seit Jahren geht er brav an Mutters Hand - der aderblauen Kralle, hart wie Eisen. Sein Herz bricht auf zu Abenteuerreisen, sein Köpfchen weiß: Im Hemd wird nicht gerannt! Er schielt beim Kirchengang zu Seinesgleichen und sieht, wie Heinz das Pferdeleder schießt, man Rinnensud und Heldenblut vergießt, versucht dabei den Blicken auszuweichen. Oft betet er zu Gott, dass Linchen brennt, dass Konrad ohne Daumen steht und flennt, und Hans, der Taugenichts versinkt im Moor. Wenn Mutter ihn zu Bett bringt, wird's gemütlich. Er bittet sie kokett, so ist das üblich: „Komm, lies mir meinen Struwwelpeter vor!“ Was Menschen, die sich widerwillig an Regeln halten, gemeinsam haben: Sie wünschen denjenigen, die es nicht tun, nichts Gutes. Ihre eigene Angst vor den Regelverstößen wollen sie gerechtfertigt wissen. Das passiert genau dann, wenn ihnen jemand Hoffnung darauf macht, dass die Regelbrecher zittern und vielleicht auch ein bisschen bluten werden. Dieses Phänomen zeigt sich zum Beispiel am Anschlag von Orlando 12.7.2016, wo ein homosexueller Moslem 49 Menschen in einem Schwulenklub, den er selbst frequentiert hat, erschießt. Er schämt sich vor Gott für seine sexuellen Verfehlungen und der Rest feiert und vögelt als gäbe es keine höhere Macht? Schwer zu akzeptieren. Oder denken wir an unschuldig lächelnde Drittsemestertulpen, die Impfverweigerern einen möglichst grausamen Erstickungstod wünschen. Die Liste ist lang. Allerbeste Grüße Krebsgestoeber |
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