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10.10.2016, 10:29 | #1 |
Das Märchen vom verlorenen Gemächt
Ich bin die Prinzessin vom Hohen Berg und mein Vater ist König und er liebt mich. Er liebt mich so sehr. Seine Liebe ist so groß wie das Wolkenmeer, das den Hohen Berg umgibt.
Unendlich groß, sagt er. Und ich liebe ihn. Das Reich meines Vaters ist wunderschön. Ich kenne jeden Stein und jeden Halm beim Namen. Und meine Freunde, die Dohlen, erzählen mir Märchen. Sie sagen, die Welt ist groß und sie sagen, sie ist bunt. Was könnte größer und bunter sein als das Reich meines Vaters? Er braucht nur mich und ich brauche nur ihn. Jeden Tag vor der Mittagssonne wandere ich durch das Königreich und begrüße die Steine und Halme und ich sehe den Dohlen bei ihren Spielen zu. Und jeden Tag nach der Mittagssonne tue ich es noch einmal. Am Abend erzähle ich alles was ich erlebt habe meinem Vater und er freut sich darüber. In einer Nacht ohne Mond lerne ich den Prinzen kennen. Zu einer Prinzessin gehört immer ein Prinz sagt der König, mein Vater. Der Prinz spricht nicht und er ist nicht schön. Aber der König freut sich. Und ich liebe ihn. Seit der Prinz da ist wandere ich zwei mal vor der Mittagssonne durch das Reich und zwei mal danach. Das Königreich ist kleiner geworden. Manchmal ist es schwer, einen Platz zum Atmen zu finden. Und die Dohlen erzählen mir ihre Lügengeschichten von der großen, bunten Welt. „Wo ist diese Welt?“, frage ich sie. Und sie kreischen: „Hinter dem weißen Meer!“ Aber das Wolkenmeer ist groß, unendlich groß, so groß wie die Liebe des Vaters. Ich glaube den Dohlen nicht. Am Abend erzähle ich dem König nicht, was gesagt wurde. Der Prinz kommt und der König freut sich. Ich sehe in seinen Augen wie sehr er sich freut. Mehr als über meine Abendgeschichten. Am nächsten Tag sitze ich bei den Dohlen und höre ihren schönen Lügengeschichten über die große, bunte Welt hinter dem Wolkenmeer zu. Am Abend frage ich den König nach der Welt. „Du kennst die Welt. Sie reicht vom Gipfel bis zum Wolkenmeer und ich bin König.“ Wir gehen zu Bett und der Prinz kommt. Ich glaube, er liebt den Prinzen mehr als mich. „Prinzessin, meine Liebe ist groß und rein wie das Meer aus Wolken, das die Welt umschließt.“, sagt der Vater. Und ihn liebe ich. „Prinzessin, der Prinz liebt dich auch. Er liebt dich beinahe so sehr, wie ich es tue.“, sagt der König. Aber ich weiß, dass es nicht wahr ist. Der Prinz liebt mich nicht. Deshalb weiß ich, dass der König lügt. Und das Wolkenmeer wird endlich wie die Liebe des Vaters. Am nächsten Tag liege ich bei den Dohlen und ich weine und ich weine und sie flüstern mir ihre wunderschönen Geschichten ins Ohr. Von der Welt die groß ist und bunt. Ohne Prinzen. Am Abend sage ich nichts und der König sagt nichts bis der Prinz kommt. Gute Nacht. Der Vater schläft. Ich nehme das Messer und schneide den Prinzen tot. Es ist leicht. Überall Blut. Der König brüllt, der Vater heult. Der Prinz liegt nur da, stumm und schlaff und klein. Überall Blut. Prinzenblut fließt aus dem König der früher mein Vater war. Ich gehe aus dem Haus zum Dohlenfelsen. Ich wecke meine Freunde und sie tragen mich über das Wolkenmeer. Und hinter dem weißen Meer ist die Welt groß und bunt als die Sonne aufgeht. Auf dem Hohen Berg gibt es keine Prinzessin mehr und keinen Prinzen. Es gibt keinen Vater mehr und keinen König. Da ist nur ein Mann und der weint und er weint. |
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10.10.2016, 11:30 | #2 |
R.I.P.
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Hallo, Siebkopf -
das ist ein wunder- wunderschönes Märchen vom König, der Vater ist und von seiner Tochter, die Prinzessin ist und nur ihren Vater liebt, bis der Prinz in ihr Bett steigt und dort stirbt.
Am besten gefallen mir die Dohlen (ich liebe Dohlen), die die Prinzessin ins Wirklichkeitsland tragen, in dem sie keine Prinzessin mehr ist. Das traurige Ende kommt für mich überraschend und stimmt auch mich traurig. Vergäbe ich Noten (ich vergebe keine), bekämst Du die Note 1. Mit freundlichen Grüßen: Thing |
10.10.2016, 12:49 | #3 |
Wow, vielen Dank Thing!
Freut mich sehr, dass Dir die Geschichte gefällt! Dohlen sind ganz großartig, ja <3 Dass das traurige Ende überraschend ist, überrascht mich ein wenig- macht aber nichts :-) Grüße Siebkopf |
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09.03.2020, 10:42 | #4 |
Eine tiefe Schlucht
.....ist deine Geschichte.
Sie beginnt in frohen Farben und milder Luft. Und führt hinab in tiefe Abgründe. Symbolhaft zeichnest du sehr gelungen, auf eine kryptische Art, Bilder in den Gedankenhimmel, die eine schreckliche Geschichte erzählen. Sie erzählen von der Zerstörung eines Paradieses, von dem Zerfall einer wunderschönen Kinderwelt und deren Verwandlung in einen Alptraum. Das ist dir wirklich großartig gelungen, so gut, dass es, wenn du nicht so ganz anders wirken würdest, beinahe autobiographisch anklingt. Gruß vom Herzen Blade Geändert von BladeRuner (09.03.2020 um 11:48 Uhr) |
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09.03.2020, 10:51 | #5 |
P.S.
Deine Geschichte hat die Klarheit im Titel nicht nötig.
Das verlorene Gemach z.B. würde es für mich subtiler machen und besser zu diesem hervorragenden Text passen. |
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10.03.2020, 11:25 | #6 | |
abgemeldet
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Zitat:
ich war mal mit bekannten bei meinem italiener abendessen und da ich mir den gegrillten fisch nie filettieren lasse, da ich den sonst kalt auf den teller kriege, zerlegte ich den brutal und unenlegant mit besser und gabel bissenweise. (wie immer) frägt mich eine dame am tisch: isst du fische immer so? ich: nur wenn sie tot sind. ziemliches gelächter am tisch. das nennt man reale situationskomik. auf den prinzen passen da einige gute monologe während da mädel ihn filettiert. wäre was für ein hörspiel. muss Niki frqagne ob sie die prinzessin macht und ich den filet-prinzen. |
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