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Zitat von Poeta Doctus
Wohin mit all unseren Gedanken und Gefühlen, wenn es doch die Gesellschaft ist, die uns unselbstständig macht?
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Das erinnert mich sowohl an Jean-Paul Marat als auch an Rousseau.
Jean-Paul Marat: "Es scheint das unbegreifliche Schicksal des Menschen zu sein, dass er nirgendwo frei sein kann. Überall kommt der Despotismus zur Macht, und die Völker geraten in Knechtschaft."
Rousseau: "Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er in Banden."
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Mich macht keine Gesellschaft unselbständig, weil es keine Gesellschaft gibt. Das ist ein abstrakter Begriff. Es gibt nur Individuen.
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Das führt die gesamte Soziologie wie auch die Massenpsychologie ad absurdum.
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Mir stehen Individuen gegenüber, die Funktionen erfüllen und mir Regeln erteilen. An diese Regeln kann ich mich halten, ich kann sie aber auch ignorieren oder gegen sie aufbegehren. Die Konsequenzen kann ich durchspielen und entsprechend meine Entschlüsse fassen. Es ist möglich, dass ich Rechte habe, die ich durchsetzen kann. Natürlich kann ich auch verlieren.
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Die Gesellschaft
könnte auch immer - allein, sie wird handeln entsprechend ihrer Bedürfnisse. Ihre Bedürfnisse ergeben sich aus der Stellung, in welcher sich einzelne Klassen befinden. Durch diese allgemeinen Bedürfnisse kommt es zu Massenaktionen, zu Aufständen u. dgl. m. Eine Masse kann einen einzelnen Willen entwickeln, oder sich vielmehr von diesem leiten lassen. Dieser Wille ist ideeller Ausdruck der materiellen Bedürfnisse der Menschen. Es gibt - das wusste auch Gustave Le Bon - eine Massenseele, eine Psyche der Masse.
Recht und die
Jurisprudenz antworten einerseits auf diesen Willen, andererseits sind gleichzeitig regulierungsmaßstab, die Ordnung zu erhalten, d.h. dem jetzt existierenden System die Existenz zu gewährleisten. Im Endeffekt also sind diese Dinge Ausdruck der Bedürfnisse verschieden gestellter Menschen, ein
Gesellschaftsvertrag, wenn man so will.
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Das ist keine Unselbständigkeit, sondern Mündigkeit.
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Mündigkeit insofern dir Recht gesprochen wird - Unselbstständigkeit insofern dir die
gesellschaftlich-ökonomischen Umstände es dir nicht erlauben, Recht einzufordern.
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Als Individuum bin ich ein Teil dessen, was man abstrakt Gesellschaft oder Staat nennt. Es sind genau solche Individuen, die Recht und Gesetz bzw. eine staatliche Ordnung schaffen.
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Du bist Teil dessen, weil du hineingeboren wurdest. Die Umstände gestatten aber auch, dass man sich nicht als Teil dessen empfindet. Darüber hinaus besteht ein Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft - diese Differenz ist zu betrachten, in der Philosophie, in der Soziologie, in der Politik. Der Staat ist - im Falle einer Erhebung - nicht Kontrahent seiner selbst.
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Nur gegen sie kann ich vorgehen, wenn mir diese Ordnung nicht passt. Selbstverständlich kann ich alle Unbill auf "die Gesellschaft" abschieben, wenn ich mal das große Meckerbedürfnis habe. Das ist ein sehr bequemer und schmerzfreier Weg, der geradezu ins Nichts führt. Denn wer sollte sich diese Jacke anziehen?
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Als Individuum kannst du nicht ausrichten, was die Masse zu tun vermag. Lenin konnte die Macht ergreifen, weil er dem konkreten Willen des Volkes Ausdruck gab - eine große Persönlichkeit in der Geschichte ist deshalb groß, nicht weil sie in der Lage war, Großes zu tun, sondern weil sie den gesellschaftlichen Bedürfnissen ihrer Zeit Ausdruck verleihen konnten, weil sie Kinder dieser Umstände waren und es verstanden, auf dem Boden einer bestimmten Klasse, Schicht oder Gruppierung zu stehen, und den Forderungen eben dieser Sozietäten Ausdruck zu verleihen.
Zweitens ist es das gute Recht der Themenstarterin ihren Unmut über die deutschen Zustände auszusprechen - und es ist ebenso ihr gutes Recht, Unmut darüber zu empfinden, dass die Gesellschaft ihren Forderungen nicht entspricht. "Krieg den deutschen Zuständen! Allerdings."
"Männer machen Geschichte" - dieser Satz ist seit dem 19. Jahrhundert mehr oder minder verpönt. Auch heutige Akademiker - und das hat mich sehr überrascht - sehen beispielsweise in der Französischen Revolution eine "positive Massenbewegung". Die Bauernaufstände beispielsweise sind nicht das Werk gewisser Intellektueller und auch diese hätten - wenn nicht das Volk seinen Forderungen gewaltsam Ausdruck verliehen hätte - schreiben können, wie sie wollten. Ein Mann ohne Masse ist
nichts.
Nicht falsch verstehen, liebe Ilka-Maria - ich gehe nur mit deinen Gedanken nicht ganz konform.
Und an Poeta Doctus: Ich kann dich gut verstehen. Aber die Dinge werden sich ändern - sie haben sich immer verändert und werden sich immer verändern.
![Lächeln](images/smilies/smile.gif)
Nihil desperandum!